Mein #ADHS-Coaching Teil 6

Teil 6: Mein Umgang mit Ressourcen, physisch und mental

[Disa] Diesmal bin ich mit Zug und Bus zur Therapie gefahren, weil das Auto gewartet wird. Eigentlich wäre es ökologischer, doch leider ist mein Energievorrat nach der dreiviertelstündigen Reise ziemlich aufgebraucht. Das Unterwegssein unter Menschen, der Lärm der Bahnhöfe und auf der Straße, als ich auf den Bus warte, zeigt mir deutlich, wie es aktuell um meine Energie steht. (Na ja, nicht nur jetzt stressen mich Bahnhöfe, Straßen und Menschen, aber doch deutlich mehr als auch schon.)

Nachdem ich Dr. ADHS kurz erzähle, wie es mir die letzten Wochen ergangen ist, leite ich zu meinem aktuellen Thema über: meine schon seit einigen Wochen anhaltende Dauererschöpfung. Keine Müdigkeit, die durch Ausschlafen, überhaupt durch Schlaf, aufgelöst werden könnte, sondern eine, die macht, dass ich wenig, noch weniger, erledigt bekomme. Ob es einen Zusammenhang zu meiner aktuell sehr gegenwärtigen Motivationslosigkeit mit Depressionsnähe gibt, weiß ich nicht. Es ist, als würde das D-MPH, das ich seit einem Jahr nehme, nicht mehr richtig wirken. Ich erwähne das Mitarbeiterinnengespräch mit meinen Chefinnen, die bevorstehenden Fahrzeugprüfung und den Zahnnotfall, um ein paar Baustellen aufzuzeigen. Und wie mich das alles total erschöpft.

Dr. ADHS fragt, was genau ich von ihr brauche und erhoffe. »Na ja«, druckse ich herum, »dass Sie wieder so eine hilfreiche Lösung aus dem Hut zaubern wie letztes Mal … Hilfreiche Tipps oder Strategien.«

Dr. ADHS schaut eine Weile auf den Bildschirm ihres Laptops, scrollt – so vermute ich – durch meine Krankengeschichte und sagt, dass demnächst meine Jahreskontrolle (Blut, EKG etc.) anstehe. Energielecks können, sagt sie, unterschiedliche Ursachen haben. Als erstes müssen wir feststellen, wo meine Energie versickert, um mir wieder Energie zuführen zu können. Damit ich wieder zu mehr Lebensqualität kommen kann.

Sie zählt auf, was unseren Energievorrat beeinflusst: Ernährung, Verdauung/Resorption, Stressfaktoren, Infektionen. Mein Ferritin-Wert sei ja vor einem Jahr sehr im Keller gewesen, sagt sie mit Blick auf den Laptop.

»Ja«, sage ich, »das ist bei mir fast immer so. Darum habe ich nach der Jahreskontrolle im Februar eine Eiseninfusion bekommen. Danach ist nochmals ein Labor gemacht worden.«

Dr. ADHS erzählt, die neuere Forschung gehe von einem Zusammenhang zwischen erhöhtem Eisenbedarf und dem ADHS-Hirn aus. Dass ADHS-Hirne Eisendepots anders bewerten, einsetzen und einen höheren Bedarf haben. *Shameonme* So richtig habe ich das alles nicht verstanden, meine Konzentration ist aktuell nicht die Beste. Jedenfalls seien wohl etwa die Hälfte aller ADHSler*innen davon betroffen. (Ich lasse das jetzt mal so stehen, da ich keine weiteren Fakten oder Quellen dazu habe.)

Schließlich kommen wir vom Eisen zu Vitamin D, das bei mir auch immer eher im Mangelbereich ist – und erfahrungsgemäß bei mir sehr direkt mit Stimmung und Motivation korrespondiert. (Sie empfiehlt im Winterhalbjahr täglich bis zu 5000 i.E., was etwa doppelt so viel ist, wie ich bisher jeweils genommen habe. Gerade nehme ich aber noch kein Vitamin D, als wir darüber sprechen. Ich vergaß zu fragen, ob das bei ADHS-Betroffenen anders sei als bei neurotypischen Menschen). Beides werde ich bei der Jahreskontrolle, die bald ansteht, mit meiner Hausärztin anschauen.

Omega 3-Fettsäuren seien ebenfalls sehr wichtig für den Energiehaushalt, ergänzt meine Ärztin, und natürlich Magnesium, das ich bereits regelmäßig in Kombination mit Calcium nehme, das es mir gegen die MPH-spezifischen Verspannungen hilft.

Dr. ADHS ist zuversichtlich, dass meine Energie wieder zurückkehrt. Eisenmangel lasse die ADHS-Symptome wieder aufleben und deutlicher in den Vordergrund treten, ergänzt sie die vorherigen Infos. Also genau das, was ich aktuell bei mir beobachte. Ich bin wieder gereizter, reizempfindlicher – fast so als nähme ich die Medikamente nicht. Was natürlich auch mit den ganzen Stressfaktoren zusammenhänge, sagt sie, denn die Medikamente und meine Reaktion darauf sind ja nicht immer gleich, tagesformabhängig und bei weitem nicht die einzigen Faktoren, die meine Lebensqualität beeinflussen.

Fakt ist, dass ich langzeiterschöpft bin. Trotz der Medikamente.

Dass ich wieder viel lärm- und reizempfindlicher bin, inbesondere bei der Arbeit, ist ein Gefühl. Dieses aktuelle Gefühl an sich kann ich zwar nicht ändern, ich kann jedoch überlegen, wie ich damit umgehen kann. Ich kann auch die andern Menschen nicht ändern, nicht leise stellen wie ein Radio, aber ich kann meine Haltung zu den Stressoren sozusagen bewusst und strategisch ändern. (Es lohne sich nur, in den Krieg zu ziehen, wenn Aussicht auf Erfolg bestehe. Andernfalls sei es strategisch klüger, die Energie dafür nicht zu verschwenden.)

Wir sprechen über den Sinn von Anpassung und ich merke, dass mich das Thema wie immer triggert.

Nur dank Anpassung habe die Menschheit überlebt, Survival of the fittest, sagt Dr. ADHS ein wenig provokativ. Es ist nicht das erste Mal, dass wir darüber reden. Wir philosophieren gern. Ich erzähle von meinem Trotz, den ich gegenüber dem Begriff Anpassung aufgebaut habe und von meinem Gefühl, immer die gewesen zu sein, die sich angepasst, die nachgegeben habe … und dass ich der Anpassung gegenüber müde, resigniert und zugleich auch wütend geworden sei. Da ich auch immer wieder diese Ohnmacht und Hilflosigkeit, weil ich die Gegebenheiten nicht ändern kann. Und die Sehnsucht danach, dass die Gesellschaft weiter, freundlicher und toleranter wäre.

Wir unterscheiden Gefühle von Fakten. Aufgrund der Fakten gilt es nach Lösungen zu suchen. Eine Erste-Hilfe-Lösung ist bereits aktiv. Ich habe mein kleines Arbeitspensum noch weiter reduziert. Vorerst bis im Februar. Das fühlt sich genau richtig an. So kann ich wieder zu Kräften und zur Ruhe kommen und die leeren Vitamin-und-Nährstoff-Depots wieder auffüllen.

Auf gar keinen Fall soll ich die Erschöpfung kleinreden, sagt Dr. ADHS, ich soll sie ernst nehmen, als Tatsache. Sie ist keine Ausrede dafür, dass ich gerade so wenig schaffe. Ich soll mir die notwendige Ruhe gönnen. Das sei nicht egoistisch, das sei wichtig.

(November 24)


Teil 1
Teil 2
Teil 3
Teil 4
Teil 5

Alle Teile

Fortsetzung folgt

#AuDHS = #ADHS + #Autismusspektrum | Nachdenken über Schnittmengen und Gegensätze

[Disa] Als Kind bekam ich von meiner Tante M. ein Taschentuch für Zwillingsgeborene. Auch sie war Zwilling, ebenso meine Mutter und einer meiner Brüder, dem unsere Tante ebenfalls so ein Taschentuch schenkte. Weil ich Tante M. und ihre ansonsten pädagogisch wertvollen Geschenke mochte – die Matrjoschka und das Dalarna-Pferdchen habe ich sogar ins Erwachsenenalter gerettet –, zweifelte ich nicht an der Botschaft auf dem Taschentuch, leichtgläubig wie ich war. Also wuchs ich, dank Taschentuch, im Glauben auf, meine Zwiegespaltenheit in allen Dingen, die ich schon als Kind sehr bewusst wahrnahm, sei astrologisch vorherbestimmt. Der Text auf dem Taschentuch war da sehr eindeutig.

Heute weiß ich es besser. Astrologie ist Quatsch und meine Buntheit hat mit meinem So-Sein zu tun. Während der ADHS-Diagnostik erwähnte meine gute Dr. ADHS, dass manche meiner Testergebnisse auf Autismus hinweisen könnten. Sie kenne sich allerdings nicht gut genug aus, um das beurteilen zu können.

Noch habe ich keine Autismusdiagnose, die Warteschlangen zur Diagnostik sind lang. Ich hoffe, dass ich in einigen Monaten mehr weiß. Inzwischen habe ich mich selbst schlau gemacht und weiß daher, dass die Kombi Autismus/ADHS so selten gar nicht ist, ich nenne sie hier kurz AuDHS.

Seit einem Jahr nehme ich ein Medikament, das mein ADHS-Hirn unterstützt. Seither fühle ich die autistischen Symptome deutlicher. Ich empfinde sie quasi als freigestellt … Vorher haben sich die beiden Wesensarten gegenseitig überlagert und sorgten so für eine ziemlich anstrengende eingeschränkte Lebensqualität. Hott und Hü. Mit und dank Medikament erkenne ich die Prozesse in mir deutlicher, kann vieles besser handhaben und die Lebensqualität ist generell deutlich gestiegen.

Auf der folgendem Grafik fasse ich meine persönlichen Symptome zusammen. In der Mitte die Schnittmenge, in den zwei äußeren Spalten meine Symptome, die entweder der einen oder der anderen Diagnose zugehörig sind.

Meine Zwiegespaltenheit, siehe oben, hat also – so erkenne ich heute – mit den gegensätzlichen Kräften in mir zu tun. Ich habe die für mich gegensätzlichsten Kräfte farbig markiert. Neurodivergenz ist zwar bunt, aber oft ganz schön anstrengend.

Ich wünsche mir, das ich diese ganze Mélange weiter entspannen kann, noch mehr Druck herausnehmen. Noch weiß ich zwar nicht wie, aber ich übe weiter …

+++

Bildbeschreibung/Alternativtext unter der Grafik:
(Draufklick für groß)

Textgrafik, Text unter der Grafik lesbar

Die Grafik zeigt zwei Kreise. Der linke Kreis ist mit Autismusspektrum übertitelt, der rechte mit ADHS. Die Kreise haben eine Schnittmenge.

Der linke Kreis hat folgenden Inhalt:

  • Hoher Ruhebedarf,
    generell tiefes Stresslevel
  • Gern im Rückzug (Schneckenhaus/Kokon) | Regeneration am besten allein oder nur mit Partner | Natur hilft bei der Regeneration
  • Bemerken/Wahrnehmen kleiner Details, die andere nicht sehen
  • Hoher Bedarf an Struktur, Regeln, Routinen & Planung, Vorhersehbarkeit, Wiederholung, | Veränderung von Abläufen ist sehr stressig | Vorbereitung und klare Abmachungen sind wichtig
  • Berührung/Anfassen mancher Dinge wird als sehr unangenehm empfunden | (unangekündigtes) Berührtwerden ist unangenehm
  • Augenkontakt ist kein natürliches Bedürfnis
  • Oftmaliges Nichtverstehen von Ironie u/o sozialen Codes

Der rechte Kreis hat folgenden Inhalt:

  • (Innere) Hyperaktivität & Impulsivität
  • Grenzenlosigkeit/überbordende Grenzen
  • Hoher Stimulations- & Inspirationsbedarf
  • Exekutive Dysfunktion & Chaostendenz bei Umsetzung von Plänen & im Haushalt/Ordnung
  • Unterstimulation erzeugt Unkonzentriertheit und fördert Ablenkbarkeit und Fehlerbereitschaft
  • Zeitblindheit (auf einmal ist viel Zeit vergangen)
  • Motivierbarkeit bei uninteressanten Aufgaben sehr schwierig
  • Gleichzeitige Wahrnehmung von Ereignissen, was Priorisieren schwierig macht

Die Schnittmenge hat folgenden Inhalt:

  • Hyperfokus
  • Reizempfindlichkeit (Licht, Geräusche/Lärm, Geruch/Gestank, Berührungen)
  • Reduzierte Energiereserven
  • (Synästhesie & MirrorTouch)
  • Dauerhafte anstrengende Anpassungsleistung (Masking)
  • Ablehnungsangst/-empfindlichkeit
  • Soziale Ängste/Beziehungsfindung/-pflege
  • Stimming

Mein #ADHS-Coaching Teil 5

Teil 5: Wie wir Konflikte und Ärgernisse als Chancen erkennen können  | Emotions- und Impulsregulation

[Disa] Nach der Sommerpause und zwei Sitzungen, in denen es mehr oder weniger um das Vertiefen des früher Besprochenen und um meinen Umzug gegangen war, komme ich dieses Mal erstmalig ohne wirklich brennendes Anliegen in die Sitzung. Ich blicke dankbar zurück auf all das, was sich bereits zum Besseren verändert hat, seit ich die Medikamente, die mir Dr. ADHS verschrieben hat, nehme und im ADHS-Coaching bin.

Ich habe im letzten Jahr viel Lebensqualität dazugewonnen, die Unterstützung durch das Medikament hat viel bewirkt. Ich erinnere uns daran, wie fremd sich am Anfang dieser Umstand, dass ich nicht mehr die ganzen vielen Reize wahrnehme, nicht mehr alles sehe, höre und mitbekomme, weil ich jetzt filtern kann, angefühlt hat. Dass ich auf einmal Grenzen habe, nicht mehr energiemäßig immer auslaufe und mitfühlend ständig über meine Grenzen fließe. Wie ich deswegen aber auch vergesslicher geworden bin, mir neue Merkstrategien aneignen musste … alles in allem, sage ich, fühle ich mich heute viel stabiler, die Außenhaut ist dichter geworden, ich habe keine Lecks mehr – zumindest viel weniger.

Welches denn all die Themen seien, die Dr. ADHS normalerweise in ihren Coachings bearbeite, will ich deshalb wissen.

Dr. ADHS zählt die Überthemen auf, die für ADHS-Betroffene oft Baustellen sind:

  • Motivation/Selbstmotivation
  • Impuls- und Emotionsregulation
  • Planung/Organisation
  • Zeitgestaltung
  • Kommunikation: die Dritten und das Umfeld

Es sei allerdings sinnvoller, die Themen nicht theoretisch abzuhandeln, sondern sie in den persönlichen Kontext zu stellen.

Bei den ersten beiden Themen habe ich aufgemerkt und mich sogleich an einen kürzlich erlebten Ausraster erinnert. Ich hatte wieder einmal mein Mittel weggelassen. Das tue ich hin und wieder, um den Unterschied bewusst zu spüren. Manchmal auch nur, wenn ich sehr müde bin und tagsüber auf ein längeres Nickerchen hoffe, was mit MPH eben nicht geht (wegen dessen Wachhaltefunktion). Ich nehme dann in Kauf, dass ich womöglich dünnhäutiger sein werde.

Wegen einer Bagatelle war es zu einem unschönen Wortwechsel mit meinem Partner gekommen, ich hatte ihn angeblafft. Kurz hatte es sich gut angefühlt, wie ein Ventil, das endlich Luft ablassen kann, dann aber vor allem beschämend. Früher war ich immer irgendwie (blöderweise) stolz auf meine Selbstkontrolle und Impulsunterdrückung gewesen, ohne mir bewusst zu sein, wie viel Energie ich damit fürs Maskieren des bedürftigen, sich zeigenwollenden Gefühls verbraten habe.

Heute sehe ich das anders. Ich will mich nicht ständig zusammenreißen müssen. Mein Partner ist zum Glück sehr geduldig und wir haben uns später ausgesprochen. Das Gespräch mündete bei mir in der Erkenntnis, dass ich in der erlebten Situation mehr Überblick gebraucht hätte.

Ich erzähle Dr. ADHS von dieser einen Situation, die exemplarisch für andere Momente steht, in denen ich zuweilen ausraste. Meistens sind es physische Dinge, die mich an meine Grenzen bringen. Etwas, das nicht funktioniert; etwas, das ich nicht kann, das mir nicht auf Anhieb gelingt; etwas, das zu lange dauert; etwas, das sich unagenehm anfühlt. Entweder dissoziiere ich dann kurz (früher mehr als heute) und/oder ich verfalle in eine Art (Warte-)Paralyse. Oder ich raste eben verbal kurz aus und schnauze jemanden an.

Ich fühle etwas und reagiere meistens unmittelbar. Das Fühlen an sich kann ich nicht steuern, doch es fühlt sich je nach Tagesform unterschiedlich an. Mal so, mal so. Mal bin ich gelassener, mal ist die Haut dünn. Steuern, oder besser übersteuern – also mit dem Verstand etwas ändern –, kann ich nicht das Fühlen, aber meine Reaktion (und manchmal auch Tagesform und Umfeld), weil ich mich nämlich ja nicht so (mies), sondern besser fühlen will. Gefühle sind immer schneller als Gedanken, das ist evolutionsbedingt, erklärt Dr. ADHS.

Ich habe in meinem Leben viele Erfahrungen gesammelt, habe Erfahrungswerte, weiß im Grunde, was hilft. Möglicherweise kann ich Situationen wie diese punktuell entschärfen, in dem ich vor dem sich anbahnenden Ausrasten kurz aus dem Raum gehe. Oder auf 10 zähle … etc. Generell hilft es nicht, die Gefühle zu ignorieren, sondern sich nach Lösungen umzuschauen.

Im besagten Beispiel ging es um etwas, das mich physisch störte. Doch »das stört mich!« zu sagen – wie nett auch immer – ist natürlich keine Lösung, sie erzeugt nur Schuldgefühle und bringt nicht weiter. Ich will und kann meinen Partner nicht ändern, er ist genau so genau richtig. Ich auch. Take it or leave it, heißt es schließlich, nicht Take it or change it.

Wichtig aber ist, dass ich zu meinen Bedürfnissen stehe und stehen darf. Wie sähe es also aus, wenn wir uns nicht nur nach einem Kompromiss, sondern sogar nach einer Win-Win-Lösung umsähen? Was brauche ich? Was wäre auch gut für meinen Partner?

Dr. ADHS schlägt mir etwas ganz Konkretes vor, etwas materiell Machbares (auf das ich theoretisch auch selbst hätte kommen können) und ich bin extrem angetan von ihrem Vorschlag, zumal er relativ leicht umsetzbar ist. Wäre doch jedes Problem so leicht lösbar. Es ist ein Beispiel, das mir Mut macht. Mut zur Akzeptanz von Bedürfnissen, von Grenzen, von Alternativen. Auch das bedeutet verantwortungsbewusst zu leben.

Ausgangslage ist oft ein Ärgernis, es ist mit einem körperlichen Schmerz vergleichbar, der uns auf eine mögliche Schwachstelle des Körpers aufmerksam macht, um die wir uns kümmern sollten. Das Ärgernis lässt sich nicht immer einfach wegmachen, es verlangt unsere Aufmerksamkeit, unsere Hingabe. Das ist ein wichtiger Moment, der uns zur Suche von Lösungen bringt und zur Verbesserung der Umstände. Im Idealfall sogar zu mehr Lebensqualität.

Abschließend sprechen wir über das jeweilige Lebensglück. Ich bin nicht – durch Selbstverzicht zum Beispiel – für das Lebensglück, das Wohlergehen und die Bedürfnisse meines Partners hauptverantwortlich, er nicht für meins und meine, dennoch wollen und können wir uns gegenseitig Gutes tun. Die letzte Verantwortung haben wir jedoch immer nur für uns selbst.


Teil 1
Teil 2
Teil 3
Teil 4

Alle Teile

Fortsetzung folgt

Was bei #ADHS helfen kann | Medikamente nehmen Teil 4

[Disa] Wie ich mich jedes Mal nerve, wenn ihm TV Mist über ADHS verbreitet wird! In einer Serie, die ich gestern geguckt habe, wurde eine ADHS-Betroffene wegen ihrer Ritalin-Sucht behandelt. Es wird gezeigt, wie sie am Abend heimlich und verstohlen eine Tablette nimmt. Sie müsse diese Sucht unbedingt aufgeben!, sagte die Ärztin später zu ihr. Sie müsse lernen, ohne diese Droge zu leben.

What a f*ck! Sorry, aber bei so viel Mist werde ich leicht ungehalten.

Dass Methylphenidate (MPH) wie Ritalin und Co. von Nicht-ADHS-Betroffenen als Droge missbraucht werden, ja, oke, verstehe ich. Aber dass ADHS-Betroffene freiwillig überdosieren? Ne, glaub ich jetzt eher nicht. Bei uns ist die Wirkung ja genau umgekehrt. Durch das Endlich-Genug-Dopamin werden wir konzentriert und fokussiert, endlich weniger hibbelig, während ein Zuviel – wie ich später noch erzählen werde – ähnlich unangenehm ist wie ein Zuwenig.

Leider wissen viele Drehbuchschreiber*innen offensichtlich nicht, dass MPH keinen Pegel erzeugt, wie es die meisten(?) Psychopharmaka vermutlich tun. MPH dagegen ist in maximal zehn Stunden wieder raus aus dem Körper. Ich habe im Laufe der Zeit bei mir beobachtet, wie lange das MPH bei mir wirkt und habe eine etwa 6-8 stündige Wirkzeit erkannt. Auch geht es mir defintiv besser, wenn ich das Mittel relativ bald nach dem Aufstehen nehme.

Im folgenden Text fasse ich meine Erkenntnisse aus meinen letzten beiden Sitzungen, in denen es um das Eindosieren und Finden meiner persönlichen Dosis ging, zusammen. Ich möchte mit dem Teilen meiner Erfahrungen so gern die ganzen Vorurteile über ADHS, die im Umlauf sind, aufheben.

Natürlich ist so ein Mittel – wie letztlich jedes Medikament – ein Eingriff in mein System. Manche Menschen reagieren mit starken Nebenwirkungen. Bei mir traten als Nebenwirkungen wiederholtes Verspannungskopfweh, Mundtrockenheit und Pickel auf. Alle drei können von Methylphenidat (MPH) ausgelöst werden.

Für das Kopfweh empfiehlt mir Dr. ADHS, hochwertiges und hochdosiertes Magnesium einzunehmen. (Was, wie ich im Rückblick nach zehn Monaten sagen kann, bestens funktioniert. Das Kopfweh hat sich wieder normalisiert, heißt, ich habe es ähnlich oft oder selten wie vor der Medikation.) Fakt ist, dass MPH dem Körper mehr Spannung beschert. Dagegen hilft Magnesium meistens gut. Doch wer langfristig hochdosiertes Magnesium einnimmt, sollte unbedingt auch auf genügend Calcium achten, da sonst die Knochensubstanz angegriffen werden kann. Der Abend sei für Magnesium die beste Einnahmezeit, weil es ja zur Entspannung und Entkrampfung beitrage, sagt meine Ärztin. Was ich zwar nachvollziehen kann, aber die Verspannungen, die das ADHS-Mittel macht, spüre ich ja vor allem tagsüber. Ich werde es wohl so halten, dass ich am Morgen und am Abend etwas nehme.

Einmal jährlich soll gecheckt werden, wie mein Körper mit dem MPH klarkommt, Blutbild, Blutdruck etc.. Gut zu wissen!

Ich habe Glück, dass ich mein Mittel so gut vertrage. Die Pickel haben sich – so kann ich glücklicherweise im Rückblick sagen – wieder verkrümmelt, nachdem ich die richtige Dosis gefunden hatte. Mit der Mundtrockenheit habe ich zu leben gelernt, ich trinke öfter.

Kurz gesagt: Die positiven Effekte überwiegen bei mir definitiv. Ich habe deutlich mehr Lebensqualität und weniger Leidensdruck. Meine Wahrnehmung der Unterschiede – Leben mit und ohne das Medikament – ist immer facettenreicher geworden. Ich habe mehr Bewusstsein für mich und meine Grenzen. War ich vorher grenzenlos, spüre ich mich inzwischen immer besser. Auch bin ich nicht mehr die, die immer alles überblickt, mitbekommt, wachsen hört, sieht und wahrnimmt. Jetzt bin ich auch mal die, die nicht mehr weiß, wo die Schlüssel liegen. Ich kann nicht mehr alles vorausahnen und überblicken, sondern muss mir jetzt Strategien überlegen, damit ich die Dinge nicht vergesse.

Ich sage meiner Ärztin, dass ich zwar zufrieden bin, nur gern weniger hibbelig wäre. Viel ist besser geworden, aber die Hibbeligkeit mag ich nicht. Müsste die denn nicht endlich weniger werden? Statt früher 15 Kanäle, die mich gleichzeitig bespielen, habe ich inzwischen nur noch etwa 5-10, mir wäre lieber, es wären noch weniger, sage ich.

Wir überlegen, dass ich testweise die Dosis leicht erhöhen könnte, was ich schließlich die nächsten Tage tue, aber bald merke, dass ich die positiven Eigenschaften zwar immer noch wahrnehme, mich jetzt aber irgendwie abgehoben, abgeschnitten, unempathisch, fast zu sehr nur auf mich fokussiert fühle. Und – vor allem – jetzt sogar noch hibbeliger geworden bin.

Also mache ich genau das Gegenteil: ich verringere die Dosis. Die Kapseln lassen sich ja sehr gut öffnen. Ich experimentiere, bis ich nach und nach die richtige Dosis, die Hälfte der Anfangsdosis, finde. Da habe ich nun alle Benefits und endlich ist die Hibbeligkeit weniger geworden. Und die Pickel sind auch Geschichte.

Diese Phase mit der Überdosierung war schlimm – und doch erhellend und somit notwendig, um die Wirkung von MPH zu begreifen. Ich habe mich mir fremd gefühlt und für mich erkannt, dass sowohl zu wenig als auch zu viel Dopamin schwierig sind. Die richtige Dosis findet sich auf einem sehr schmalen Weg. Auch wenn es bei mir schließlich eine relativ kleine Dosis ist, macht sie doch, so im Rückblick, einen gewaltigen Unterschied in der Wahrnehmung meiner Innen- und Außenwelt.

Mit meiner eher kleinen Dosis bin ich übrigens nicht allein, die Wohlfühldosis ist tatsächlich sehr individuell. Und je älter eine*r ist, desto weniger Dopamin-Transporter hat sie*er, also braucht eine*r je älter je weniger Dopamin, um das gewünschte Level zu erreichen.

Es ist ein tolles Gefühl: endlich bestimme ich. Ich kann wählen. Ich muss nicht, aber ich kann. Ich sammle jetzt Erfahrungen und ich darf auch mal danebenhauen. Das darf sein. Ich werde im Laufe der Zeit fühlbar selbstsicherer, weil ich nun selbst bestimmen kann.

Das alles ist nicht nur ein kognitiver Prozess, ein Verstehen im Kopf, es geht vor allem auch darum, das alles zu fühlen. Die langfristigen Verhaltensveränderungen, die ich herbeiführen will, sollen besonders auch auf der Fühlebene passieren.

Eine Beobachtung, die ich erst allmählich mache:
Meine Tagesmüdigkeit ist fast ganz verschwunden. Das hat zwei Gründe: 1.) Die Substanz ist nicht nur ein Dopaminbooster, sondern eben auch ein etwa zehn Stunden wirksamer Wachmacher, was jedoch nicht bedeutet, dass ich zehn Stunden lang einen hohen Dopaminspiegel habe (dieser hält sich, je nach persönlichem Stoffwechsel und gewähltem Medikament, 4-8 Stunden).
2.) Ich bin nun abends, da ohne Nickerchen tagsüber, viel müder, so dass ich, wenn Wachmacher und Dopaminboost wieder aus dem Körper raus sind, entsprechend (meist mit Melatonin) richtig gut schlafen kann. Nicht immer, aber immer öfter.

Inzwischen habe ich deutlich mehr Selbstvertrauen in mich und meine Instinkte, Gefühle und Wahrnehmungen gefunden. Das freut mich sehr.

Ich empfinde mich …

  • innerlich ruhiger
  • weniger (schnell) müde
  • ausdauernder
  • weniger schnell genervt und gereizt
  • positiver/optimischer

Abschließend zeigt mir Dr. ADHS auf einer ihrer Textgrafiken, wo genau was passiert:

  • Das limbische (Belohnungs-)System reagiert auf genug Dopamin mit »innerlich ruhiger«
  • Der Thalamus kann wegen genug Dopamin Reize besser abschirmen und lässt mich mich »weniger (schnell) müde« fühlen.
  • Im Präfrontalen Cortex geschieht durch genug Dopamin, dass ich entscheiden kann und will, »positiver« zu sein.

Während ich mit zu wenig Dopamin vieles automatisch mache, geht es neu darum, die Dinge bewusst zu tun. Das erklärt auch meine neue Vergesslichkeit. Vorher hat sich mein Hirn herumliegende Dinge automatisch gespeichert, weil ich keine Filter hatte und alles unpriorisiert wahrnahm, doch darauf kann ich nun irgendwie nicht mehr zugreifen. Gefühlt ist es manchmal wie eine noch fast leere Festplatte ohne Dateirn oder ein anderes neues Betriebssystem, das ich erst kennenlernen muss …

»Das Hirn ist bis ins hohe Alter beweglich«, sagt Dr. ADHS sinngemäß, »und hocheffizient. Wenn ich davon überzeugt bin, dass ich etwas nicht mehr kann, werden jene Areale »geschlossen« und das Hirn, die Hirntätigkeit, wird dort eingestellt. Aktiviere ich das Hirn aber ständig, indem ich Neues lerne, bleiben alle Bereiche im Hirn aktiv. Use it oder lose it. So arbeitet das Hirn«.

»Sie tun schon viel, Sie haben bereits viel getan«, sagt sie, als ich von meiner Erfahrung mit meiner mir in den Phasen der Überdosierung beinahe abhanden gekommenen Empathie spreche. »Die Empathiefähigkeit gehört zu Ihnen, ist Teil Ihrer Persönlichkeit. Sie ist nicht nur wegen mehr oder weniger Dopamin aktiv, Sie können sie steuern. Neu werden Sie nicht mehr überflutet und daran müssen Sie sich gewöhnen. Jetzt ist das noch neu, aber irgendwann wird das Ihr neues Normal sein.«

Ich habe es jetzt endlich selbst in der Hand und bin nicht mehr den Fühlfluten ausgeliefert.


Teil 1
Teil 2
Teil 3

Ende

Vorurteile über Autismus und die Autismusspektrum-Diagnose

[Disa] Vor allem Frauen und als Frauen gelesene Personen wird ihre Autismusspektrum-Diagnose oft nicht geglaubt. Schon auf meine ADHS-Diagnose wurde oft sehr ungläubig reagiert. Wie es mir wohl ergehen wird, wenn ich demnächst die vermutete Autismusspektrum-Diagnose bekommen haben werde?

Im Internet habe ich folgende Grafik zum Thema Vorurteile gefunden:

Textgrafik. In der Mitte steht eine langhaarige Frau, die ein weißes Shirt und hellbraune Shorts trägt. Um sie herum ist der Text auf Englisch, der in diesem Artikel auf deutsch übersetzt worden ist. Das Bild ist in hellroten Tönen gehalten.
Textgrafik. In der Mitte steht eine langhaarige Frau, die ein weißes Shirt und hellbraune Shorts trägt. Um sie herum ist der Text auf Englisch, der in diesem Artikel auf deutsch übersetzt worden ist. Das Bild ist in hellroten Tönen gehalten.

Wie man sich diskriminierend und entwertend verhält?
Erwachsene-Autismusspektrum-Edition einer kleinen Auswahl an „sehr hilfreichen“ Chats:

Sie können nicht Autist*in sein, weil …
… Sie Augenkontakt herstellen können.
… Sie zu einfühlsam sind.
… Sie weiblich sind.
… Sie nicht autistisch aussehen.
… Sie Freund*innen, eine*n Partner*in oder
Kinder haben.
… Sie einen Beruf haben.
… Sie zu normal sind.
… Sie erwachsen sind.
… Sie die Schule, Ausbildung oder Universität abgeschlossen haben.
… Sie zu schlau sind.
… Sie sich nicht wie mein 5 Jahre alter autistischer Sohn/Neffe verhalten.

+++

Soweit die Grafik. Wirklich hilfreich ist es dagegen immer, das Gegenüber ernstzunehmen, Respekt, Akzeptanz zu leben.

Niemand weiß von außen, was und wie ein Gegenüber die Welt wirklich wahrnimmt.

Was bei #ADHS helfen kann | Medikamente nehmen Teil 3

[Disa] Inzwischen habe ich bereits zwei Wochen Erfahrung mit meinem Medikament (Dexmethylphenidat) gesammelt. Am Anfang der Sitzung erzähle ich Dr. ADHS, was ich bisher mit Focalin erlebt habe. Sie schreibt mit und erklärt mir anschließend, was da gerade in meinem Hirn passiert. Dabei erstellt sie zur Veranschaulichung wieder eine Textgrafik.

Der Thalamus, den ich bereits von früheren Sitzungen kenne, reagiert auf die höhere Dopamingabe so, dass er einen Puffer, einen Filter auf meine Wahrnehmung legt. Die Dopamingabe schenkt mir beispielsweise, dass ich Geräusche nicht mehr so unmittelbar laut und nervig wie ohne Dopamin wahrnehme. Das erste Geschenk.

Das zweite Geschenk ereignet sich im Präfrontalen Cortex (PFC): Das ist der Ort der Steuerung. Wenn zu wenig Dopamin zur Verfügung steht, steuert das Hirn ohne meine Mitbestimmung meine Wahrnehmung und meine Interpretation von Einflüssen, was zu diesem mir sehr vertrauten Fremdsteuerungsgefühl führt. Was sehr anstrengend ist. Dank genug Dopamin bin ich zunehmend in der Lage, selbst zu steuern, wie ich wahrnehme und wie ich die Wahrnehmungen interpretiere.

Dort fängt dann die Eigenleistung an. Meine bisherigen guten Erlebnisse und Wahrnehmungen mit Focalin waren bisher eher zufällig, doch die Therapie, die ich jetzt hier mache, zielt darauf ab, dass ich gute Erfahrungen willentlich herbeiführen lernen kann. (Davon aber später.)

Erst sprechen wir jedoch noch über das dritte Geschenk: Mein lymbisches System belohnt mich mit mehr innerer Ruhe. Auch hier wird zukünftig Eigenleistung zu noch mehr Ruhe führen können.

Wir sprechen in der weiteren Zeit darüber, wie dieses Mehr an Lebensqualität, die ich mit diesen drei Geschenken konkret erfahren kann, aussehen könnte. Konkret geht es um eine Erweiterung meiner Grenzen hin zu mehr Selbstbestimmung.

Jedes Hirn hat quasi seinen ganz eigenen Dopaminbedarfslevel. Und jedes ADHS-Hirn braucht grundsätzlich die immer gleiche Dosis, um diesen Bedarf zu decken. Ich werde mich dennoch nicht jeden Tag mit der einmal gefundenen und festgelegten Dosis gleich gut fühlen. Das Leben ist ja nicht ausschließlich von diesem Mittel abhängig, ich bin immer noch die gleiche Person mit meinen Gewohnheiten und Mustern. Ich werde auch nicht – wie vorher vom Dopaminmangel fremdbestimmt – nun vom Dopamin gesteuert, sondern das Genug an Dopamin ermöglicht es mir, dass ich nun selbst bestimmen kann, welche Gedanken mich beschäftigen sollen und welche Reize ich an mir heranlasse. (Eine der vielen Bedenken, die fast alle ADHSler*innen haben, bevor sie sich auf das eine oder andere Mittel einlassen, ist die Angst vor Fremdbestimmung durch das Medikament. Genau das Gegenteil ist der Fall, wie ich schon nach kurzer Zeit bestätigen kann.)

Meine Aufgabe besteht nun darin, mich mehr und mehr selbst zu steuern. Ich kann mir neue Ziele setzen, ich kann mich ausbreiten, neue Wünsche formulieren, mir das Leben wie ein Büffet vorstellen, aus dem ich mich bedienen kann. Innerhalb meiner Persönlichkeit habe ich nun viel mehr Spielraum. Doch das muss ich erstmal begreifen. Und lernen. Die Muster, die ich mir wegen meiner ständige Begrenztheit/Eingeschränktheit angeeignet habe, müssen definiert und durch neue Muster ersetzt werden. Das ist eine Art Neukonditionierungsprozess, der mir dabei hilft, mich selbst zu steuern, mehr Selbstbestimmung leben zu können.

Schließlich sprechen wir über die Einnahme des Mittels und sie empfiehlt mir, das Mittel recht bald nach dem Aufstehen einzunehmen. Später werde ich es nach Gusto nehmen können, doch jetzt ist wichtig, dass ich die Kurve beobachten kann. Der erste Peak ist nach einer Stunden, der zweite nach vier.

Als ich die morgendlichen Schwindel während der beiden letzten Vormittage erwähne, vermutet sie, dass ich ein Zuviel von Dopamin haben könnte, da mein Partner bei mir ist. Der Körper stellt ja auch eigenes Dopamin zur Verfügung, das allerdings im ADHS-Hirn in der Regel kaum ausreicht. Wohlfühlmenschen können offenbar als Dopamin-Booster wirken, und vielleicht wird dadurch dann zu viel Dopamin frei. (Wenn eine neurotypische Person das Mittel nimmt, erlebt sie es oft als eine Art Rauschzustand.) Das ist aber erst einmal eine These, die noch weiter beobachtet werden muss.

Ebenfalls muss beobachtet werden, ob die Pickel in meinem Gesicht tatsächlich vom Focalin kommen.

INFO: Diesen Text habe ich im November 2023 geschrieben.


Teil 1
Teil 2
Teil 4

Fortsetzung folgt

Vorurteile betreffend #ADHS

[Disa] Ich bin umgezogen und habe mir durch die ganze Schlepperei und Heberei das Iliosakralgelenk blockiert. Hexenschuss hoch drei. Krasse Schmerzen und meine Hausärztin war ausgerechnet jetzt in den Ferien. Nach der Entblockierung vor nun zwei Wochen, sonntagnachts in der Notaufnahme, ging es zuerst nur in Minischrittchen weiter. Nächtliche Schmerzen zwangen mich zu Wanderungen durch die Wohnung. An Liegen war nicht zu denken.

Am Anfang, als ich mit der Einnahme großer Mengen Schmerzmittel, begonnen hatte, setzte ich zudem mein ADHS-Mittel drei Tage aus, da ich die Ärztys vergaß zu fragen, ob Methylphenidat (MPH) mit Schmerzmitteln kompatibel ist. (Ja, ist es, wie ich inzwischen weiß.)

Da ich die Schmerzen am meisten beim Liegen und Sitzen spürte, musste ich mich ständig bewegen. Ich kam nicht zur Ruhe, weder tags noch nachts. Totale Übermüdung.

Und dies alles an den ersten allerkrassesten Tagen ohne MPH. Nicht gut, gar nicht gut. Wie ich schon kurz nach Einnahmebeginn, damals, vor neun Monaten, feststellte, macht mich MPH nämlich ein bisschen weniger schmerzempfindlich. Oder gelassener im Umgang mit Schmerz. Unter anderem.

Die Heilung konnte erst einsetzen, als ich vor zehn Tagen ein Muskelrelaxans bekam und wieder einige Stunden am Stück schlafen konnte. Als das Muskelsystem, das verspannt und verklebt war, durch die Ruhe (und durch Physiotherapie, Massage und Medikamente) wieder besser durchblutet wurde.

Der Schlafentzug war – neben den Schmerzen – eine Hölle für sich. Nicht mehr abschalten zu können, kenne ich ja schon aus früheren Lebensphasen, ebenso Schlafstörungen. Aber wirklich über längere Zeit nur etwa drei oder vielleicht vier Stunden zu schlafen, ohne jegliche Tiefschlafphasen, war dermaßen grenzwertig, dass ich fast verzweifelte. Dass ich es nicht ganz tat, verdanke ich meinem Medikament. Auch dass es mir allmählich gelang, den Fokus vom Schmerz auf die hoffentlich wieder schmerzfreie Zukunft zu richten.

So langsam werden die Schmerzen weniger und ich kann wieder Dinge tun – die Wohnung weiter einrichten zum Beispiel. Doch muss ich gut aufpassen, dass ich nicht gleich wieder zu heftige Dinge tue.

Inzwischen schlafen ich wieder drei bis vier Stunden am Stück, erwache ein- bis zweimal die Nacht und vor allem träume ich wieder.

Wie erholsam das ist! Wie sehr ich es genieße!

Heute Nacht hatte ich einen sehr spannenden Traum, den ich gern mit euch teilen möchte:

Den Kontext habe ich leider größtenteils vergessen. Ich saß in einem Gespräch mit einer Person, die mich noch nicht kannte und es ging darum, dass sie mich kennenlernen wollte. Ich erklärte ihr, dass ich ADHS habe und dass ich Medikamente nehme, um meinen Alltag und mein Leben besser handhaben zu können.

Im Traum hatte ich zuvor ein ziemlich dramatisches Abenteuer mit teils lebensgefährlichen Augenblicken gut überstanden und besonnen reagiert – auch dank der Medikamente, wie ich zu einer anderen, am Drama beteiligten Person gesagt hatte.

Die andere Person, mit der ich jetzt sprach, sagte sinngemäß, dass ich diese Medikamente doch gar nicht wirklich benötigte. Ich sei doch so eine eloquente Person, so dies und so das und überhaupt … Man merke mir das ADHS so gar nicht an.

Das war die Stelle, an der ich aufwachte. Ich war einmal mehr empört über die Vorurteile, die viele Menschen gegenüber ADHS und ADHS-Medikation haben. Und über die Frechheit, sich eine Wertung anzumaßen.

Nicht, dass ich nicht eloquent wäre (manchmal bin ich es tatsächlich, egal ob mit oder ohne Medikamente), aber es geht doch überhaupt niemanden etwas an, darüber zu befinden, ob eine sich durch Medikamente Unterstützung holt, um in einer neurotypischen Gesellschaft nicht ständig anzuecken und unter die Räder zu kommen.

Und jetzt werde ich ein paar leere Kisten plattmachen und in den Keller bringen. Schön, dass ich das jetzt wieder kann.

Was bei #ADHS helfen kann | Medikamente nehmen Teil 2

[Disa] Am Anfang dieser Sitzung bitte ich darum, das von mir gehasste Händeschütteln wegzulassen. Für Dr. ADHS kein Problem. Ich stelle fest, dass ich allmählich mehr zu meinen Bedürfnissen stehen kann. Das ist nur ein kleines Beispiel von vielen positiven Auswirkungen meiner späten ADHS-Diagnose.

Dr. ADHS fragt, ob ich zur generellen Wirksamkeit der ADHS-Medikament bezogen auf die Hirnaktivität – also was wir in der letzten Sitzung angeschaut haben – noch Fragen habe. Ich fasse kurz zusammen, was ich verstanden habe. Mich interessiert vor allem, welches die für mich richtige Dosis ist und welches Mittel zu mir passt. Ich habe keine Ahnung, wie das Eindosieren funktioniert, kenne nur das Vorgehen bei Antidepressiva, wo wöchentlich oder auch täglich ein bisschen mehr genommen wird. Als zweites stelle ich die Frage, ob denn ein Dopaminmangel, wie ich ihn ja offenbar habe, verantwortlich für Depressionen sei.

Auf die erste Frage antwortet sie, dass dem nicht so sei. Ich werde nicht einfach jeden Tag ein wenig mehr nehmen, denn das Medikament schaffe ja keinen Spiegel. Wie genau die richtige Dosis erkannt werde, erkläre sie mir später.

Zur zweiten Frage sagt sie, dass nicht Dopamin- sondern Serontoninmangel für Depressionen verantwortlich sei. Das seien, wie wir schon früher mal besprochen haben, Antagonisten. Während allerdings die Gabe von Dopamin das Serontonin nicht groß beeinflusse (allenfalls könnte die Zwangsstörung stärker werden), könne es umgekehrt bei Serontoningabe der ADHS-spezifische Dopaminmangel noch verstärkt werden. (Ich meine mich tatsächlich zu erinnern, dass ich, während der AD-Phasen noch hyperiger/gespeedeter gewesen bin. Hm. Oke. Interessant. Das mal im Kopf behalten.)

Schließlich holt Dr. ADHS einen selbstgemalten Vordruck, worauf sie mir die Wirksamkeit der vier für mich am Anfang zur Auswahl stehenden Medikamente demonstriert. Es sind Methylphenidate. Unser Plan ist es, die richtige Dosis zu finden, damit ich mich selbst besser steuern kann und nicht mehr vom Dopaminmangel gesteuert werde.

Focalin ist das neueste Medikament – nur in der Schweiz und den USA erhältlich – und lässt sich am feinsten dosieren. Gegen Medikinet spricht bei mir, dass ich dazu zwingend frühstücken müsste. Was ich aber ja nicht tue. Respektive meine erste Mahlzeit selten vor 10 Uhr einnehme, eher so um 11-12 Uhr irgendwann. So wählte ich zwischen Concerta und Focalin und entschied mich relativ spontan für Focalin, weil es sich fein dosieren lässt.

Medikamente und Stimulanzien werden in jedem Körper unterschiedlich verstoffwechselt. Je nachdem wie unsere Hirne eben ticken (mir fällt leider der richtige Begriff nicht mehr ein). Da gibt es wohl drei Arten des Verwertungsprozesses: die Schnell-Schnell-Kombi, die Schnell-Langsam-Kombi und die Langsam-Langsam-Kombi. (85 % gehören zur Schnell-Langsam-Kombi, 5 % zur Schnell-Schnell- und 10 % zur Langsam-Langsam-Kombi, wenn ich mir das richtig gemerkt habe.)

Während die Wirksamkeitskurve für alle Benutzer*innen relativ ähnlich ist, ist die Kurve des Ausfadens des Mittels unterschiedlich lang. Je nachdem, wie ich ticke, wird das Mittel früher oder später abgebaut. Bei Focalin könne es durchaus zu einem Rebound*-Effekt kommen, heißt wenn das Mittel zu wirken aufhört, kann sich der ’frühere Normalzustand’ schwieriger als sonst anfühlen.

Was ADHS-Medikamente von anderen (z. B. Schmerz-)Mitteln unterscheidet, ist, dass die Wirkung der eigentlichen Stimulanz nebensächlich ist. In zu hoher Dosis verabreicht wirken ADHS-Medikamente wie Drogen, sie machen wach, appetitlos, aufgedreht, was allerdings weder zentral noch erwünscht ist; diese Wirkungen kommen nur bei zu hoher Dosis vor. Genau darum ist es so wichtig, die genau richtige Dosis herauszufinden.

Ich soll drei Tage nacheinander morgens je eine 5 mg-Kapsel Focalin (was 10 mg MPH entspricht) einnehmen, bevor ich große Denk- und Arbeitsleistung erbringe, und genau beobachten, wie es wirkt. Wann es wirkt. Was genau passiert. Danach soll ich zwei Tage kein Mittel nehmen und mich auf die Unterschiede konzentrieren. Schließlich alles protokollieren und ihr, Dr. ADHS, mailen, was ich dabei erlebt habe. Sie werde auf meine Beobachtungen reagieren und mir umgehend Anweisungen geben, wie ich weitermachen solle.

Für mich klingt das alles ziemlich unheimlich, gruselig … dennoch möchte ich herausfinden, wie es sich anfühlt, wenn im Kopf so etwas wie Ruhe ist. Und wie es sich anfühlt, wenn ich die Dinge selbst steuern kann. Selbst entscheiden, worauf ich mich einlassen und konzetrieren will und nicht, wie eben vorhin erlebt, gleichzeitig Dinge wahrnehmen, schreiben, Bilder bearbeiten, eine Mail beantworten, mit Freundinnen chatten … und für alles immer nur halbe Konzentration aufbringen.

Doch jetzt gehe ich erstmal in die Apotheke und hole mir meine erste Schachtel Focalin. Morgen fängt das neue Leben an. Oder so. Puh.

+++

INFO: Diesen Text habe ich im Oktober 2023 geschrieben. Seither hat sich für mich dank Focalin vieles zum Besseren gewendet.


*Der Begriff Rebound oder Absetzeffekt (von engl. rebound ‚Rückprall‘) bezeichnet in der Medizin das verstärkte Wiederauftreten von Symptomen einer medikamentös behandelten Erkrankung nach Absetzen der Arzneimittel.

Teil 1
Teil 3
Teil 4

Fortsetzung folgt

Mein #ADHS-Coaching Teil 4

Teil 4: Wie wir Pläne realisieren können | Gedanken- und Impulssteuerung

[Disa] Das war eine richtig gute Sitzung diese Woche. Wir kommen nach kurzen Smalltalksätzen recht schnell zur Sache. Ich erzähle, als sie fragt, was ansteht, von meinem Umzug (innerhalb meines Orts) in wenigen Wochen und wie ich mir dank meines neuen Tools Zenkit* sinnvolle Listen und Wochenpläne erstellt habe; wie das Planen, worüber wir in den letzten Sitzungen gesprochen haben, so langsam bei mir zu funktionieren beginnt und mir tatsächlich beim Leben hilft; wie mir das Medikament fühlbar beim Priorisieren-Können hilft; wie ich endlich Filtern, Wichtiges und Unwichtiges auseinanderhalten kann. Und – sehr spannend! – wie ich feststelle, dass das in den letzten Monaten an neuen Strategien Trainierte, Gelernte, Verstandene sogar greift, wenn ich das Medikament nicht genommen habe. Wie bei meinen früher erlebten Verhaltens- und Traumatherapie‘erfolgen‘ sozusagen.

Diese Erkenntnis greift Dr. ADHS auf und bestätigt, dass das im Idealfall tatsächlich so sein sollte: Also dass ich mein neues Know-How tatsächlich integrieren kann. (Während ich das hier schreibe, überlege ich, wie es wohl wäre, wenn ich langfristig das Medikament nicht mehr nehmen würde, sprich: ob ich die neuen Strategien wieder verlieren würde?)

Ich erzähle, dass ich an den Tagen, an denen ich sehr früh erwache und mich die Umzugssorgen und -überlegungen gleich vom ersten Gedanken bannen und ich darum nicht wieder einschlafen kann, angefangen habe, mein redartiertes MPH-Medikament früher als sonst und in zwei Portionen aufgeteilt zu nehmen. Normalerweise nehme ich es zwischen 8:15 und 9:15, kurz nach dem Wachwerden. Bei mir hält die dopaminrelevante Wirkung etwa 8 Stunden und die Wirkung der Stimulanz (das Wachmachding) etwa 10 Stunden.

Wenn ich das Mittel jedoch bereits um 7:15 nehme, reicht die Wirkung, so meine Überlegung, nicht wirklich bis am Abend und ich bin an solchen Tagen zu früh müde und überhaupt werden solche Tage zu lang für die mir zur Verfügung stehende Energie (was allerdings noch andere Gründe hat). Wenn ich das Mittel an frühwachen Tagen aber erst um 8:15 nehme wie normal, obwohl ich schon ab 7:00 Kopfarbeit verrichte, bekommt mir das nicht gut, denn dann habe ich schon einen Rucksack auf dem Rücken und das Dopamin kommt zu spät und wirkt nicht wirklich so, wie ich es brauche. Es klebt sozusagen oben drauf, weshalb ich die Idee, die Dosis zu teilen und eine Dosis früher zu nehmen, wie es andere aus meiner virtuellen Blasen tun, aufgenommen habe.

Dr. ADHS hört mir zu und fragt, ob ich in den ersten Stunden denn einen Benefit habe, da ich in dieser Phase ja nur die halbe Kraft des Filters zur Verfügung hätte. Ich stelle die oben schon erwähnte Frage, ob es denn sein könne, dass ich manche gelernte Dinge inzwischen auch ohne genug Dopamin hinbekommen könne. Was sie bejaht, denn letztlich sei das Coaching eine Art Verhaltenstraining (siehe oben). Die ersten Stunden bis zur Einnahme der zweiten Hälfte des Mittels arbeite ich also – vorausgesetzt wir haben für mich die richtige Dosis herausgefunden – mit halber Dopamindosis-Hirnleistung und mit halber ADHS-Hirnleistung. Geht aber und ist, jedenfalls für mich, besser als es später zu nehmen.

Dr. ADHS zeichnet eine Skizze zur Veranschaulichung. Da ist die berühmte x/y-Zeitachse und als Wellenlinie darüber, parallel zur Zeitachse, meine gefundene Idealdosis. Wenn ich diese halbiere (hier malt sie einen roten Klotz), stehen mir am Anfang eben nur die Hälfte der Dopamintransporter zur Verfügung, wenn ich später die zweite Hälfte nehme, werden diese – da es ja während der Wirkzeit der ersten Dosis passiert – aufaddiert und ich verlängere tatsächlich meine Wirkzeit-Länge. »Irgendwie schlau«, sagt Dr. ADHS lächelnd, und ich weiß nicht, ob sie meine Strategie, die ich von anderen Betroffenen abgeguckt habe, nicht kannte oder ob sie einfach nur von Fall zu Fall über solche Möglichkeiten spricht, die vielleicht eben nicht für alle passen.

Wir sprechen in diesem Kontext nun darüber, wie lange mich die Stimulanzwirkung wach macht und ob das vielleicht mein Einschlafen beeinflussen könnte. Doch da ich eh nie vor 22 Uhr ins Bett gehe, bin ich fast sicher, dass ich die zweite Dosis problemlos bis um 12 Uhr nehmen kann.

(An den Tagen nach der Sitzung probiere ich es mit Zweidrittel- und Eindrittel-Dosen und stelle fest, dass das noch ein bisschen besser ist als halb/halb. Das ist, wie alles, was ich hier schreibe, allerdings nur meine persönliche Erfahrung.)

Nun kommen wir auf das Planen unter Umzugsbedingungen zu sprechen. Ich erzähle davon, wie mein Hirn, sobald es wach ist, zu arbeiten, zu packen, zu planen anfängt. Dass ich Dinge, die ich später zu tun gedenke, zuerst im Kopf mache, mir buchstäblich das WIE vorstelle. Bilder abnehmen, Bilder nach Größe sortieren, in Decken wickeln. In Kisten verpacken. So und so, die und die Handgriffe. Schließlich Kisten nummerieren und anschreiben und in die Zenkit-Liste eintragen. Alles sehr kleinteilige, sehr stringente Abläufe. Ich erinnere mich, dass ich das so ähnlich zwar immer schon gemacht habe, meine aber, dass ich jetzt in längeren und detailllierteren Abläufen denken kann.

Doof daran und absolut nicht neu ist, dass ich mich tendenziell in Gedanken, die sich in wiederholenden Endlosschleifen drehen, verfange – zumal ich frühmorgens beim Wachwerden ja noch keine zusätzlichen Dopamintransporter intus habe. Sie legen los, sobald ich wach bin und in der Wohnung herumgucke. Was mir fehlt, ist eine Strategie, um meine Gedanken besser steuern zu können. Nicht nur jetzt, wo der Umzug so viel Energie braucht.

Die erste Übung, mir via Planung neue Handlungsabläufe und Verhaltensweisen anzueignen, habe ich inzwischen drauf und in den letzten Wochen geübt. So ziemlich. Jedenfalls theoretisch. Nennen wir das »Handeln, wann?« oder schlicht Planen. Tatsächlich sind aus neuen vertraute Abläufe geworden.

Bei der nächsten Übung geht es nun also darum Impulse, Denken und Handeln selbst zu steuern, statt ihnen ausgeliefert zu sein. Sie in konkrete Abläufe, in ein konkretes »Wie?« zu überführen. (Das betrifft nun den Präfrontalen Cortex, der, wie ich in früheren Sitzungen gelernt habe, für die Gedankensteuerung zuständig ist.) Gedanken sind in erster Linie Impulse. Impulssteuerung heißt zum Beispiel, dass ich Gedanken, wenn sie kommen, verschieben kann, etwas anderes denken.

Wenn ich – als Beispiel – den Gedanken, wie ich die Bilder einpacken werde, einmal zu Ende gedacht habe, ihn, wenn er ein zweites Mal auftaucht, nicht mehr weiter denken muss, weil ich ihn zu steuern gelernt habe. Dabei hilft es ganz praktisch, ihn auf einer Liste zu vermerken und/oder ganz bewusst etwas anderes zu denken, damit im Hirn wieder Platz für etwas anderes ist. Listen können Gedanken auslagern.

In mir drin klingt das nach einem riesigen unüberwindlichen Das-geht-doch-gar-nicht!, denn in meinem Leben habe ich das ja schon oft probiert. Doch habe ich es wirklich schon richtig probiert, seit ich das Medikament nehme? Nein. Nicht so richtig. Ich werde es jedenfalls als nächsten Übungspunkt angehen. Beobachten, ob es funktioniert. Beobachten, ob ich meine Skepsis überwinden kann. Beobachten, warum und wann es geht oder nicht.

In den Tagen seit der Sitzung versuchte ich, Gedanken, für die ich gerade den Nerv nicht habe, zu verschieben. Dabei helfen mir Vorstellungen – wie das Schließen eines Browsertabs – oder konkretes Swichen/Umdenken. Ich nenne es für mich die Mentale-Hängematte-Aufhängen. Ich übe und beobachte und bin echt gespannt, ob und wie ich dieses WIE schließlich in den Alltag integrieren kann. Es ist aus meiner Sicht gerade eine High Level-Herausforderung.

Apropos Level: Ich habe neulich einen Podcast* gehört, bei welchem die Unterschiede zwischen Neurodiversität und Neurotypie unter anderem mit dem Spielen eines Handyspiels erklärt werden. Beide spielen wir das gleiche Spiel, doch das erste Level der Neurodiversen ist von Anfang an höher als das erste Level von Neurotypischen. Wenn Neurotypische sagen »Das ist ja ganz einfach, dieses erste Level, ich weiß nicht, was du hast!«, verstehen das Neurodiverse nicht, denn es ist ganz und gar nicht einfach, dieses erste Level. Dr. ADHS findet dieses Bild sehr anschaulich.

Im Gespräch realisiere ich, dass ich seit Diagnosebeginn bereits ein Jahr mit Dr. ADHS zusammenarbeite und was sich seither schon alles für mich zum Guten verändert hat.


Teil 1
Teil 2
Teil 3
Teil 5

Alle Teile

Fortsetzung folgt

*persönliche Empfehlung, keine Werbeeinnahmen

Was bei #ADHS helfen kann | Medikamente nehmen Teil 1

[Disa] »Wie ist das eigentlich? Wie war das bei dir, als du angefangen hast, ADHS-Medikamente zu nehmen? Und heißt es eigentlich Medikamente für oder gegen ADHS?« Diese Frage wurde mir – nach dem ich da und dort von meiner jüngt erhaltenen ADHS-Diagnose zu erzählen begonnen habe – immer mal wieder so oder ähnlich gestellt.

Voranstellen muss ich, dass ich keine Medikamente nehmen wollte, bevor ich verstanden habe, wie ein ADHS-Hirn tickt. Bis jetzt habe ich ja sowohl ohne Diagnose als auch ohne Medikamente gelebt. Allerdings mit wachsendem Leidensdruck. Gut zu wissen, dass sowohl Diagnose als auch Medikation im Grunde nur bei Leidensdruck wichtig sind.

Als ich zu verstehen begann, wie das alles zusammenhängt und wie meine andauernde, sehr belastende Reizüberflutung überhaupt entsteht, beschloss ich, dem Hilfsmittel Methylphenidat eine Chance zu geben. Mein persönlicher Leidensdruck war vor allem der Reizüberflutung geschuldet, zum einen war das dieser Dauerlärm im Kopf, dazu dieses Umherspringen, diese vielen offenen Tabs in mir drin … und wenn dann noch etwas von außen kommt, Lärm, Gestank, eine dringende Bitte eines lieben Menschen … und das alles gleichzeitig, in 3D und in Farbe … dann war ich einfach nur noch dauererschöpft. Warum also nicht etwas Neues ausprobieren?

Den meisten ist nicht klar, wie anders ADHS-Substanzen im Vergleich zu Schmerzmitteln wirken. Selbst zu den Antidepressiva, die ich zuweilen genommen habe, verhält sich Methylphenidat total anders.

Der Hauptunterschied besteht vielleicht darin, dass diese Substanzen keinen Spiegel im Organismus bewirken, den es aufrecht zu erhalten gilt. (Gerade in Filmen wird das oft völlig falsch dargestellt.) Das Mittel wird eingenommen, erreicht seinen Level, wirkt eine bestimmt Zeit und verlässt unser System wieder … und das alles innert maximal zwölf Stunden. Zum einen beeinflusst das Medikament den Dopamintagesspiegel, zum anderen ist da der Teil des Medikaments, der wachmacht (was solche Mittel eben auch als Droge beliebt macht).

Was das Mittel definitiv NICHT macht, ist klassisches Ruhigstellen. Jedenfalls nicht so, wie es sich viele vorstellen. Unterm Strich macht mich das Mittel schon irgendwie ruhiger, aber nicht auf die baldrianeske Art, sondern eher so, dass ich weniger Lärm im Kopf habe und dadurch konzentrierter und fokussierter bin.

Was ich euch hier im Folgenden erzähle, basiert auf dem, was mir meine Ärztin – Dr. ADHS will ich sie hier nennen – erzählt hat, was ich mir angelesen und was ich persönlich erfahren habe. Es ersetzt keine persönlichen Besuche bei einer*m Spezialistin*en. Und bestimmt habe ich auch das eine oder andere nicht genau richtig verstanden, seid also nachsichtig mit mir. Ich hoffe dennoch, dass meine Erfahrungen, der einen oder dem anderen helfen können, den einen oder anderen Zusammenhang besser zu verstehen.

Dr. ADHS war es sehr wichtig, dass ich nach der Diagnose und vor dem Beginn der medikamentösen Therapie überhaupt verstehe, wie das Hirn funktioniert und was die Medikamente bewirken und auslösen.

Damit ich mir alles gut vorstellen kann, hat sie mir bunte Grafiken gezeichnet, die ich hier natürlich nicht wiedergeben kann. Ich versuche es darum mit Worten.

Stellt euch eine Zelle vor. Darin Blasen. Darin Dopamin. Dopamin gewährleistet, wenn ich das richtig verstanden habe, eine störungsfreie Signalübertragung. In einem Nicht-ADHS-Hirn überträgt Dopamin Informationen und Befehle via synaptischem Spalt – denkt euch rote Punkte außerhalb der Zelle – in die Nachbarzellen. Das nicht mehr benötigte Dopamin wird via Dopamintransporter – gezeichnet als hellgrüne Wägelchen – zurück in die Zellen gebracht. Ein ausgewogenes System, ein Kreislauf.

Ein ADHS-Hirn verfügt – vereinfacht gesagt – über eine mangelnde Dopamin-Wirksamkeit respektive sind zu viele Dopamintransporter (kurz DaT) im Einsatz, die viel zu viel Dopamin wegkarren, so dass das wenige vorhandene Dopamin nicht richtig arbeiten kann, sondern zu früh abtransportiert wird. Ich sage das jetzt mit meinen Worten, also das, was ich noch weiß und halbwegs verstanden habe.

Was also ist hilfreich, damit das Dopamin tun kann, wozu es gebraucht wird? Was muss ein Medikament können?

Unser Hirn braucht ein Mittel, das die Dopamintransporter (DaT) reduziert und/oder es muss mehr Dopamin geliefert werden. Und genau das tun MPH-Medikamente via Ritalin, Concerta, Medikinet, Focalin (Schweiz) und wie sie alle heißen.

Dazu Wiki: »Die typischen ADHS-Medikamente (Stimulanzien wie Methylphenidat oder Lisdexamfetamin* bewirken auf verschiedene Weisen (Methylphenidat als Dopaminwiederaufnahmehemmer, Lisdexamfetamin* als Dopaminfreisetzungsverstärker) eine Erhöhung des Dopaminspiegels im synaptischen Spalt – bei richtiger Dosierung auf das Maß, das wie bei Nichtbetroffenen eine störungsfreie Signalübertragung gewährleistet. Bei Überdosierung (zu hoher Dopaminspiegel) entstehen Signalübertragungsprobleme, die nahezu dieselben Symptome verursachen wie ein zu geringer Dopaminspiegel.«

Zum Schluss noch ein bisschen Hirn-Theorie. Stellt euch das Hirn als rundliches Dingsi gezeichnet vor. Links, im vorderen Teil des Kopfes, sitzt der Präfrontale Cortex (PFC) – dargestellt als längliches Feld. Er ist für Steuerung, Lernen, Entscheiden und Priorisieren zuständig.

In der Hirnmitte, dargestellt als kurviger Strich, liegt der Thalamus. Er ist für die Filterung zuständig, steuert somit die Ablenkbarkeit durch Reizfülle.

Rechts im gezeichneten Hirn, dargestellt als schwarze runde Fläche, schließlich das Limbische System, auch Belohnungssystem genannt, das innere Ruhe/Unruhe, Getriebensein und/oder eben Wohlsein, Zufriedenheit etc. steuert. Kurzum: Alles hängt zusammen.

Wie die unterschiedlichen MPH-Medikamente wirken und unsere Hirntätigkeit beeinflussen, erzähle ich euch im nächsten Teil.

+++

INFO: Diesen Text habe ich im Oktober 2023 geschrieben.


EDIT: Im Wikipedia-Artikel steht ursprünglich Amphetamin, was aber so nicht ganz stimmt. Darum wurde der Begriff ersetzt durch Lisdexamfetamin. Begründung: »Amphetamine könnten zu einem sofortigen Rausch führen, aber Lisdex ist nur ein Prodrug, wird also erst im Magen-Darm-Trakt zur aktiven Substanz. (Wichtig, weil Elvanse auch bei Kindern und Jugendlichen eingesetzt wird, da hormonstabil.)« Danke an Vierraumwohnung, die mich upgedated hat.


Teil 2
Teil 3
Teil 4

Fortsetzung folgt