#AuDHS = #ADHS + #Autismusspektrum | Nachdenken über Schnittmengen und Gegensätze

[Disa] Als Kind bekam ich von meiner Tante M. ein Taschentuch für Zwillingsgeborene. Auch sie war Zwilling, ebenso meine Mutter und einer meiner Brüder, dem unsere Tante ebenfalls so ein Taschentuch schenkte. Weil ich Tante M. und ihre ansonsten pädagogisch wertvollen Geschenke mochte – die Matrjoschka und das Dalarna-Pferdchen habe ich sogar ins Erwachsenenalter gerettet –, zweifelte ich nicht an der Botschaft auf dem Taschentuch, leichtgläubig wie ich war. Also wuchs ich, dank Taschentuch, im Glauben auf, meine Zwiegespaltenheit in allen Dingen, die ich schon als Kind sehr bewusst wahrnahm, sei astrologisch vorherbestimmt. Der Text auf dem Taschentuch war da sehr eindeutig.

Heute weiß ich es besser. Astrologie ist Quatsch und meine Buntheit hat mit meinem So-Sein zu tun. Während der ADHS-Diagnostik erwähnte meine gute Dr. ADHS, dass manche meiner Testergebnisse auf Autismus hinweisen könnten. Sie kenne sich allerdings nicht gut genug aus, um das beurteilen zu können.

Noch habe ich keine Autismusdiagnose, die Warteschlangen zur Diagnostik sind lang. Ich hoffe, dass ich in einigen Monaten mehr weiß. Inzwischen habe ich mich selbst schlau gemacht und weiß daher, dass die Kombi Autismus/ADHS so selten gar nicht ist, ich nenne sie hier kurz AuDHS.

Seit einem Jahr nehme ich ein Medikament, das mein ADHS-Hirn unterstützt. Seither fühle ich die autistischen Symptome deutlicher. Ich empfinde sie quasi als freigestellt … Vorher haben sich die beiden Wesensarten gegenseitig überlagert und sorgten so für eine ziemlich anstrengende eingeschränkte Lebensqualität. Hott und Hü. Mit und dank Medikament erkenne ich die Prozesse in mir deutlicher, kann vieles besser handhaben und die Lebensqualität ist generell deutlich gestiegen.

Auf der folgendem Grafik fasse ich meine persönlichen Symptome zusammen. In der Mitte die Schnittmenge, in den zwei äußeren Spalten meine Symptome, die entweder der einen oder der anderen Diagnose zugehörig sind.

Meine Zwiegespaltenheit, siehe oben, hat also – so erkenne ich heute – mit den gegensätzlichen Kräften in mir zu tun. Ich habe die für mich gegensätzlichsten Kräfte farbig markiert. Neurodivergenz ist zwar bunt, aber oft ganz schön anstrengend.

Ich wünsche mir, das ich diese ganze Mélange weiter entspannen kann, noch mehr Druck herausnehmen. Noch weiß ich zwar nicht wie, aber ich übe weiter …

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Bildbeschreibung/Alternativtext unter der Grafik:
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Textgrafik, Text unter der Grafik lesbar

Die Grafik zeigt zwei Kreise. Der linke Kreis ist mit Autismusspektrum übertitelt, der rechte mit ADHS. Die Kreise haben eine Schnittmenge.

Der linke Kreis hat folgenden Inhalt:

  • Hoher Ruhebedarf,
    generell tiefes Stresslevel
  • Gern im Rückzug (Schneckenhaus/Kokon) | Regeneration am besten allein oder nur mit Partner | Natur hilft bei der Regeneration
  • Bemerken/Wahrnehmen kleiner Details, die andere nicht sehen
  • Hoher Bedarf an Struktur, Regeln, Routinen & Planung, Vorhersehbarkeit, Wiederholung, | Veränderung von Abläufen ist sehr stressig | Vorbereitung und klare Abmachungen sind wichtig
  • Berührung/Anfassen mancher Dinge wird als sehr unangenehm empfunden | (unangekündigtes) Berührtwerden ist unangenehm
  • Augenkontakt ist kein natürliches Bedürfnis
  • Oftmaliges Nichtverstehen von Ironie u/o sozialen Codes

Der rechte Kreis hat folgenden Inhalt:

  • (Innere) Hyperaktivität & Impulsivität
  • Grenzenlosigkeit/überbordende Grenzen
  • Hoher Stimulations- & Inspirationsbedarf
  • Exekutive Dysfunktion & Chaostendenz bei Umsetzung von Plänen & im Haushalt/Ordnung
  • Unterstimulation erzeugt Unkonzentriertheit und fördert Ablenkbarkeit und Fehlerbereitschaft
  • Zeitblindheit (auf einmal ist viel Zeit vergangen)
  • Motivierbarkeit bei uninteressanten Aufgaben sehr schwierig
  • Gleichzeitige Wahrnehmung von Ereignissen, was Priorisieren schwierig macht

Die Schnittmenge hat folgenden Inhalt:

  • Hyperfokus
  • Reizempfindlichkeit (Licht, Geräusche/Lärm, Geruch/Gestank, Berührungen)
  • Reduzierte Energiereserven
  • (Synästhesie & MirrorTouch)
  • Dauerhafte anstrengende Anpassungsleistung (Masking)
  • Ablehnungsangst/-empfindlichkeit
  • Soziale Ängste/Beziehungsfindung/-pflege
  • Stimming

„Was mache ich hier eigentlich?“ Über Selbstzweifel.

[Sabrina] Voller Begeisterung habe ich spontan zugesagt als Disa fragte wer Lust hätte über seinen Alltag mit ADHS zu schreiben.

Ein paar Ideen waren schnell zusammengetragen, und dann kamen die Zweifel. Was weiss ich denn schon über ADHS. Meine Diagnose liegt noch nicht mal 6 Monate zurück. Ich weiss gerade gar nicht so richtig was in meinem Leben alles ADHS ist und was nicht. Was habe ich denn zu dem Thema überhaupt zu sagen. Interessiert das irgendwen? Was wenn meine Diagnose (die nicht sehr ausführlich war) doch nicht stimmt und ich wirklich nur unfähig und faul bin?

Also schreibe ich über meine Zweifel. Selbstzweifel. Davon habe ich genug, schon immer. Warum kriege ich einfache Dinge nicht hin? Warum schaffe ich es nicht mein Leben in den Griff zu kriegen? Warum habe ich immer schon das Gefühl nicht in diese Gesellschaft zu passen? Warum kann ich nicht zuhören? Warum will ich immer neue Hobbys ausprobieren, warum stürze ich mich mit vollem Eifer in ein neues Thema, schaffe mir jede Menge Zeugs dafür an, nur um es ein paar Wochen, Monate, in Ausnahmefällen auch Jahre später von heute auf morgen liegen zu lassen um mich anderen Dingen zu widmen? Warum muss ich immer alles auf den letzten Drücker machen?

Jetzt weiß ich, das hat alles mit meinem umdiagnostizierten ADHS zu tun. Aber die Zweifel sind hartnäckig. Über 40 Jahre haben sie sich in meinem Leben eingebrannt und große Schäden hinterlassen. Soziale Ängste, depressive Phasen, aber auch ganz praktische Dinge wie seit Jahren nur ein Taschengeld zu verdienen, keine soziale Absicherung zu haben. Ich habe wahnsinniges Glück dass meine Familie und mein Partner mich trotz allem immer unterstützt haben. Ansonsten wäre ich vielleicht schon auf der Strasse gelandet.

Die Diagnose ADHS ändert den Blick auf die Dinge die in meinem Leben nicht funktionieren. Aber ich glaube ich brauche noch eine ganze Menge Zeit und Hilfe um mein Leben endlich in den Griff zu bekommen. Die Selbstzweifel hinter mir zu lassen und Platz für ein neues Gefühl zu schaffen.