Mein #ADHS-Coaching Teil 4

Teil 4: Wie wir Pläne realisieren können | Gedanken- und Impulssteuerung

[Disa] Das war eine richtig gute Sitzung diese Woche. Wir kommen nach kurzen Smalltalksätzen recht schnell zur Sache. Ich erzähle, als sie fragt, was ansteht, von meinem Umzug (innerhalb meines Orts) in wenigen Wochen und wie ich mir dank meines neuen Tools Zenkit* sinnvolle Listen und Wochenpläne erstellt habe; wie das Planen, worüber wir in den letzten Sitzungen gesprochen haben, so langsam bei mir zu funktionieren beginnt und mir tatsächlich beim Leben hilft; wie mir das Medikament fühlbar beim Priorisieren-Können hilft; wie ich endlich Filtern, Wichtiges und Unwichtiges auseinanderhalten kann. Und – sehr spannend! – wie ich feststelle, dass das in den letzten Monaten an neuen Strategien Trainierte, Gelernte, Verstandene sogar greift, wenn ich das Medikament nicht genommen habe. Wie bei meinen früher erlebten Verhaltens- und Traumatherapie‘erfolgen‘ sozusagen.

Diese Erkenntnis greift Dr. ADHS auf und bestätigt, dass das im Idealfall tatsächlich so sein sollte: Also dass ich mein neues Know-How tatsächlich integrieren kann. (Während ich das hier schreibe, überlege ich, wie es wohl wäre, wenn ich langfristig das Medikament nicht mehr nehmen würde, sprich: ob ich die neuen Strategien wieder verlieren würde?)

Ich erzähle, dass ich an den Tagen, an denen ich sehr früh erwache und mich die Umzugssorgen und -überlegungen gleich vom ersten Gedanken bannen und ich darum nicht wieder einschlafen kann, angefangen habe, mein redartiertes MPH-Medikament früher als sonst und in zwei Portionen aufgeteilt zu nehmen. Normalerweise nehme ich es zwischen 8:15 und 9:15, kurz nach dem Wachwerden. Bei mir hält die dopaminrelevante Wirkung etwa 8 Stunden und die Wirkung der Stimulanz (das Wachmachding) etwa 10 Stunden.

Wenn ich das Mittel jedoch bereits um 7:15 nehme, reicht die Wirkung, so meine Überlegung, nicht wirklich bis am Abend und ich bin an solchen Tagen zu früh müde und überhaupt werden solche Tage zu lang für die mir zur Verfügung stehende Energie (was allerdings noch andere Gründe hat). Wenn ich das Mittel an frühwachen Tagen aber erst um 8:15 nehme wie normal, obwohl ich schon ab 7:00 Kopfarbeit verrichte, bekommt mir das nicht gut, denn dann habe ich schon einen Rucksack auf dem Rücken und das Dopamin kommt zu spät und wirkt nicht wirklich so, wie ich es brauche. Es klebt sozusagen oben drauf, weshalb ich die Idee, die Dosis zu teilen und eine Dosis früher zu nehmen, wie es andere aus meiner virtuellen Blasen tun, aufgenommen habe.

Dr. ADHS hört mir zu und fragt, ob ich in den ersten Stunden denn einen Benefit habe, da ich in dieser Phase ja nur die halbe Kraft des Filters zur Verfügung hätte. Ich stelle die oben schon erwähnte Frage, ob es denn sein könne, dass ich manche gelernte Dinge inzwischen auch ohne genug Dopamin hinbekommen könne. Was sie bejaht, denn letztlich sei das Coaching eine Art Verhaltenstraining (siehe oben). Die ersten Stunden bis zur Einnahme der zweiten Hälfte des Mittels arbeite ich also – vorausgesetzt wir haben für mich die richtige Dosis herausgefunden – mit halber Dopamindosis-Hirnleistung und mit halber ADHS-Hirnleistung. Geht aber und ist, jedenfalls für mich, besser als es später zu nehmen.

Dr. ADHS zeichnet eine Skizze zur Veranschaulichung. Da ist die berühmte x/y-Zeitachse und als Wellenlinie darüber, parallel zur Zeitachse, meine gefundene Idealdosis. Wenn ich diese halbiere (hier malt sie einen roten Klotz), stehen mir am Anfang eben nur die Hälfte der Dopamintransporter zur Verfügung, wenn ich später die zweite Hälfte nehme, werden diese – da es ja während der Wirkzeit der ersten Dosis passiert – aufaddiert und ich verlängere tatsächlich meine Wirkzeit-Länge. »Irgendwie schlau«, sagt Dr. ADHS lächelnd, und ich weiß nicht, ob sie meine Strategie, die ich von anderen Betroffenen abgeguckt habe, nicht kannte oder ob sie einfach nur von Fall zu Fall über solche Möglichkeiten spricht, die vielleicht eben nicht für alle passen.

Wir sprechen in diesem Kontext nun darüber, wie lange mich die Stimulanzwirkung wach macht und ob das vielleicht mein Einschlafen beeinflussen könnte. Doch da ich eh nie vor 22 Uhr ins Bett gehe, bin ich fast sicher, dass ich die zweite Dosis problemlos bis um 12 Uhr nehmen kann.

(An den Tagen nach der Sitzung probiere ich es mit Zweidrittel- und Eindrittel-Dosen und stelle fest, dass das noch ein bisschen besser ist als halb/halb. Das ist, wie alles, was ich hier schreibe, allerdings nur meine persönliche Erfahrung.)

Nun kommen wir auf das Planen unter Umzugsbedingungen zu sprechen. Ich erzähle davon, wie mein Hirn, sobald es wach ist, zu arbeiten, zu packen, zu planen anfängt. Dass ich Dinge, die ich später zu tun gedenke, zuerst im Kopf mache, mir buchstäblich das WIE vorstelle. Bilder abnehmen, Bilder nach Größe sortieren, in Decken wickeln. In Kisten verpacken. So und so, die und die Handgriffe. Schließlich Kisten nummerieren und anschreiben und in die Zenkit-Liste eintragen. Alles sehr kleinteilige, sehr stringente Abläufe. Ich erinnere mich, dass ich das so ähnlich zwar immer schon gemacht habe, meine aber, dass ich jetzt in längeren und detailllierteren Abläufen denken kann.

Doof daran und absolut nicht neu ist, dass ich mich tendenziell in Gedanken, die sich in wiederholenden Endlosschleifen drehen, verfange – zumal ich frühmorgens beim Wachwerden ja noch keine zusätzlichen Dopamintransporter intus habe. Sie legen los, sobald ich wach bin und in der Wohnung herumgucke. Was mir fehlt, ist eine Strategie, um meine Gedanken besser steuern zu können. Nicht nur jetzt, wo der Umzug so viel Energie braucht.

Die erste Übung, mir via Planung neue Handlungsabläufe und Verhaltensweisen anzueignen, habe ich inzwischen drauf und in den letzten Wochen geübt. So ziemlich. Jedenfalls theoretisch. Nennen wir das »Handeln, wann?« oder schlicht Planen. Tatsächlich sind aus neuen vertraute Abläufe geworden.

Bei der nächsten Übung geht es nun also darum Impulse, Denken und Handeln selbst zu steuern, statt ihnen ausgeliefert zu sein. Sie in konkrete Abläufe, in ein konkretes »Wie?« zu überführen. (Das betrifft nun den Präfrontalen Cortex, der, wie ich in früheren Sitzungen gelernt habe, für die Gedankensteuerung zuständig ist.) Gedanken sind in erster Linie Impulse. Impulssteuerung heißt zum Beispiel, dass ich Gedanken, wenn sie kommen, verschieben kann, etwas anderes denken.

Wenn ich – als Beispiel – den Gedanken, wie ich die Bilder einpacken werde, einmal zu Ende gedacht habe, ihn, wenn er ein zweites Mal auftaucht, nicht mehr weiter denken muss, weil ich ihn zu steuern gelernt habe. Dabei hilft es ganz praktisch, ihn auf einer Liste zu vermerken und/oder ganz bewusst etwas anderes zu denken, damit im Hirn wieder Platz für etwas anderes ist. Listen können Gedanken auslagern.

In mir drin klingt das nach einem riesigen unüberwindlichen Das-geht-doch-gar-nicht!, denn in meinem Leben habe ich das ja schon oft probiert. Doch habe ich es wirklich schon richtig probiert, seit ich das Medikament nehme? Nein. Nicht so richtig. Ich werde es jedenfalls als nächsten Übungspunkt angehen. Beobachten, ob es funktioniert. Beobachten, ob ich meine Skepsis überwinden kann. Beobachten, warum und wann es geht oder nicht.

In den Tagen seit der Sitzung versuchte ich, Gedanken, für die ich gerade den Nerv nicht habe, zu verschieben. Dabei helfen mir Vorstellungen – wie das Schließen eines Browsertabs – oder konkretes Swichen/Umdenken. Ich nenne es für mich die Mentale-Hängematte-Aufhängen. Ich übe und beobachte und bin echt gespannt, ob und wie ich dieses WIE schließlich in den Alltag integrieren kann. Es ist aus meiner Sicht gerade eine High Level-Herausforderung.

Apropos Level: Ich habe neulich einen Podcast* gehört, bei welchem die Unterschiede zwischen Neurodiversität und Neurotypie unter anderem mit dem Spielen eines Handyspiels erklärt werden. Beide spielen wir das gleiche Spiel, doch das erste Level der Neurodiversen ist von Anfang an höher als das erste Level von Neurotypischen. Wenn Neurotypische sagen »Das ist ja ganz einfach, dieses erste Level, ich weiß nicht, was du hast!«, verstehen das Neurodiverse nicht, denn es ist ganz und gar nicht einfach, dieses erste Level. Dr. ADHS findet dieses Bild sehr anschaulich.

Im Gespräch realisiere ich, dass ich seit Diagnosebeginn bereits ein Jahr mit Dr. ADHS zusammenarbeite und was sich seither schon alles für mich zum Guten verändert hat.


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Fortsetzung folgt

*persönliche Empfehlung, keine Werbeeinnahmen

Autor: Disa

ü55, weiblich, spät diagnostiertes ADHS (2023), Verdacht auf Autismus wird im Winter/Frühling 25 abgeklärt.

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