Leben machen – Teil 13, Asthenozoospermie

[Janne]
Das ist also die erste Diagnose. „Asthenozoospermie“
Die steht auf dem Befundzettel meines Mannes. Der Befundzettel, den ich angefordert habe, weil wir die Praxis wechseln. Mit meinem Mann, dem von der früheren Praxis gesagt wurde, es sei alles okay.

Asthenozoospermie, das liegt laut DocCheckFlexicon vor, wenn weniger als 40 % der Spermien motil sind oder weniger als 32 % progressiv motil. Motil, das meint die Beweglichkeit. Warum man in diesem Kontext nicht „mobil“ sagt, schaue ich lieber nicht nach, wer weiß, wann ich aus dem Tunnel wieder rauskomme.
„Progressiv motil“ bedeutet, dass sich die Spermien nach vorne bewegen können. Das sind die, die nicht nur auf der Stelle zappeln, sondern es wirklich bis nach oben in den Eileiter schaffen können.

Nun ist es so, dass sich die Qualität je nach Tagesform verändern kann. Diese Diagnose ist also tatsächlich nur eine Momentaufnahme, ein Sichtbefund. Es kann sein, dass ein weiteres Spermiogramm ein anderes Ergebnis zeigt.
„Okay“ ist das Ergebnis auf meinem Schreibtisch aber nicht. Und ich ärgere mich darüber, dass die Sprechstundenhilfe ihm nicht gesagt hat, dass ein Gespräch mit der Ärztin darüber gut wäre.
Denn das Spermiogramm wurde Ende April erstellt. Jetzt ist Dezember. Wenn mein Mann doch dauerhaft zu wenige Spermien hat, haben wir ein halbes Jahr verloren.

Immerhin war mein Bauchgefühl, die Praxis zu wechseln, richtig.
Ich werde bei dem Kennenlerngespräch in der neuen Praxis direkt um einen Termin für eine ITI (IntraTubare Insemination) bitten.
Wir bekommen keine Tests und Behandlungen, die den Kinderwunsch betreffen, von der Krankenkasse bezahlt. Also werden wir kein Geld für weitere Spermiogramme ausgeben. War offenbar sowieso ein ziemlicher Albtraum, die von meinem Mann so genannte „Wichskammer“.
Und wenn meine Eileiter doch verschlossen sind, wird man es bei der Methode ja definitiv erfahren.

Mein Eisprung ist nächste Woche. Den nehmen wir natürlich mit. Im doppelten Sinne. Der Termin in der neuen Praxis ist eine Woche später.
Die frühere bekommt von mir definitiv eine schlechte Bewertung. Ich bin so verärgert, da lege ich mir sogar einen Google-Account an.

Mein #ADHS-Coaching Teil 6

Teil 6: Mein Umgang mit Ressourcen, physisch und mental

[Disa] Diesmal bin ich mit Zug und Bus zur Therapie gefahren, weil das Auto gewartet wird. Eigentlich wäre es ökologischer, doch leider ist mein Energievorrat nach der dreiviertelstündigen Reise ziemlich aufgebraucht. Das Unterwegssein unter Menschen, der Lärm der Bahnhöfe und auf der Straße, als ich auf den Bus warte, zeigt mir deutlich, wie es aktuell um meine Energie steht. (Na ja, nicht nur jetzt stressen mich Bahnhöfe, Straßen und Menschen, aber doch deutlich mehr als auch schon.)

Nachdem ich Dr. ADHS kurz erzähle, wie es mir die letzten Wochen ergangen ist, leite ich zu meinem aktuellen Thema über: meine schon seit einigen Wochen anhaltende Dauererschöpfung. Keine Müdigkeit, die durch Ausschlafen, überhaupt durch Schlaf, aufgelöst werden könnte, sondern eine, die macht, dass ich wenig, noch weniger, erledigt bekomme. Ob es einen Zusammenhang zu meiner aktuell sehr gegenwärtigen Motivationslosigkeit mit Depressionsnähe gibt, weiß ich nicht. Es ist, als würde das D-MPH, das ich seit einem Jahr nehme, nicht mehr richtig wirken. Ich erwähne das Mitarbeiterinnengespräch mit meinen Chefinnen, die bevorstehenden Fahrzeugprüfung und den Zahnnotfall, um ein paar Baustellen aufzuzeigen. Und wie mich das alles total erschöpft.

Dr. ADHS fragt, was genau ich von ihr brauche und erhoffe. »Na ja«, druckse ich herum, »dass Sie wieder so eine hilfreiche Lösung aus dem Hut zaubern wie letztes Mal … Hilfreiche Tipps oder Strategien.«

Dr. ADHS schaut eine Weile auf den Bildschirm ihres Laptops, scrollt – so vermute ich – durch meine Krankengeschichte und sagt, dass demnächst meine Jahreskontrolle (Blut, EKG etc.) anstehe. Energielecks können, sagt sie, unterschiedliche Ursachen haben. Als erstes müssen wir feststellen, wo meine Energie versickert, um mir wieder Energie zuführen zu können. Damit ich wieder zu mehr Lebensqualität kommen kann.

Sie zählt auf, was unseren Energievorrat beeinflusst: Ernährung, Verdauung/Resorption, Stressfaktoren, Infektionen. Mein Ferritin-Wert sei ja vor einem Jahr sehr im Keller gewesen, sagt sie mit Blick auf den Laptop.

»Ja«, sage ich, »das ist bei mir fast immer so. Darum habe ich nach der Jahreskontrolle im Februar eine Eiseninfusion bekommen. Danach ist nochmals ein Labor gemacht worden.«

Dr. ADHS erzählt, die neuere Forschung gehe von einem Zusammenhang zwischen erhöhtem Eisenbedarf und dem ADHS-Hirn aus. Dass ADHS-Hirne Eisendepots anders bewerten, einsetzen und einen höheren Bedarf haben. *Shameonme* So richtig habe ich das alles nicht verstanden, meine Konzentration ist aktuell nicht die Beste. Jedenfalls seien wohl etwa die Hälfte aller ADHSler*innen davon betroffen. (Ich lasse das jetzt mal so stehen, da ich keine weiteren Fakten oder Quellen dazu habe.)

Schließlich kommen wir vom Eisen zu Vitamin D, das bei mir auch immer eher im Mangelbereich ist – und erfahrungsgemäß bei mir sehr direkt mit Stimmung und Motivation korrespondiert. (Sie empfiehlt im Winterhalbjahr täglich bis zu 5000 i.E., was etwa doppelt so viel ist, wie ich bisher jeweils genommen habe. Gerade nehme ich aber noch kein Vitamin D, als wir darüber sprechen. Ich vergaß zu fragen, ob das bei ADHS-Betroffenen anders sei als bei neurotypischen Menschen). Beides werde ich bei der Jahreskontrolle, die bald ansteht, mit meiner Hausärztin anschauen.

Omega 3-Fettsäuren seien ebenfalls sehr wichtig für den Energiehaushalt, ergänzt meine Ärztin, und natürlich Magnesium, das ich bereits regelmäßig in Kombination mit Calcium nehme, das es mir gegen die MPH-spezifischen Verspannungen hilft.

Dr. ADHS ist zuversichtlich, dass meine Energie wieder zurückkehrt. Eisenmangel lasse die ADHS-Symptome wieder aufleben und deutlicher in den Vordergrund treten, ergänzt sie die vorherigen Infos. Also genau das, was ich aktuell bei mir beobachte. Ich bin wieder gereizter, reizempfindlicher – fast so als nähme ich die Medikamente nicht. Was natürlich auch mit den ganzen Stressfaktoren zusammenhänge, sagt sie, denn die Medikamente und meine Reaktion darauf sind ja nicht immer gleich, tagesformabhängig und bei weitem nicht die einzigen Faktoren, die meine Lebensqualität beeinflussen.

Fakt ist, dass ich langzeiterschöpft bin. Trotz der Medikamente.

Dass ich wieder viel lärm- und reizempfindlicher bin, inbesondere bei der Arbeit, ist ein Gefühl. Dieses aktuelle Gefühl an sich kann ich zwar nicht ändern, ich kann jedoch überlegen, wie ich damit umgehen kann. Ich kann auch die andern Menschen nicht ändern, nicht leise stellen wie ein Radio, aber ich kann meine Haltung zu den Stressoren sozusagen bewusst und strategisch ändern. (Es lohne sich nur, in den Krieg zu ziehen, wenn Aussicht auf Erfolg bestehe. Andernfalls sei es strategisch klüger, die Energie dafür nicht zu verschwenden.)

Wir sprechen über den Sinn von Anpassung und ich merke, dass mich das Thema wie immer triggert.

Nur dank Anpassung habe die Menschheit überlebt, Survival of the fittest, sagt Dr. ADHS ein wenig provokativ. Es ist nicht das erste Mal, dass wir darüber reden. Wir philosophieren gern. Ich erzähle von meinem Trotz, den ich gegenüber dem Begriff Anpassung aufgebaut habe und von meinem Gefühl, immer die gewesen zu sein, die sich angepasst, die nachgegeben habe … und dass ich der Anpassung gegenüber müde, resigniert und zugleich auch wütend geworden sei. Da ich auch immer wieder diese Ohnmacht und Hilflosigkeit, weil ich die Gegebenheiten nicht ändern kann. Und die Sehnsucht danach, dass die Gesellschaft weiter, freundlicher und toleranter wäre.

Wir unterscheiden Gefühle von Fakten. Aufgrund der Fakten gilt es nach Lösungen zu suchen. Eine Erste-Hilfe-Lösung ist bereits aktiv. Ich habe mein kleines Arbeitspensum noch weiter reduziert. Vorerst bis im Februar. Das fühlt sich genau richtig an. So kann ich wieder zu Kräften und zur Ruhe kommen und die leeren Vitamin-und-Nährstoff-Depots wieder auffüllen.

Auf gar keinen Fall soll ich die Erschöpfung kleinreden, sagt Dr. ADHS, ich soll sie ernst nehmen, als Tatsache. Sie ist keine Ausrede dafür, dass ich gerade so wenig schaffe. Ich soll mir die notwendige Ruhe gönnen. Das sei nicht egoistisch, das sei wichtig.

(November 24)


Teil 1
Teil 2
Teil 3
Teil 4
Teil 5

Alle Teile

Fortsetzung folgt

Leben machen – Teil 12, mit der unangenehmen Wahrheit

[Janne]
Im Kinderwunsch sieht man überall Babys und Schwangere. Und weil ich auf allen möglichen Plattformen alles Mögliche zu Kinderwunsch und Schwangerschaft lese, kostet es enorm viel, aktiv zu anderen Themen zu gehen. Wie ein Hürdenlauf ist das manchmal. Hopp! Über Werbung für Nahrungsergänzungsmittel – unter Infogruppen-Terminen durchkrabbeln! Und dann noch eine Swat-Rolle, um zu so heiteren Themen wie Krieg, Klimakatastrophe und Nazis in politischer Verantwortung zu kommen!

Es ist anstrengend und nicht immer habe ich die Kraft dafür. Umso schwieriger wird es, wenn ich in Kontexten unterwegs bin, wo es bisher kaum persönlich für mich geworden ist. Zum Beispiel im Training. Da gehe ich hin, mache mit und versuche beim Socializing am Ende möglichst sympathisch zu wirken, um meine Zugehörigkeit zu performen.
Das ist schwierig, wenn eine Person dann verkündet, dass sie schwanger ist. Alle sagen freudig „Ah“, gratulieren, das Thema der nächsten Monate wird immer wieder ihre Schwangerschaft sein. Oder die Erfahrungen der anderen Leute, die schon schwanger waren und/oder (lebende) Kinder haben.

Ob noch jemand in der Mannschaft einen unerfüllten Kinderwunsch hat, werde ich vielleicht nie erfahren, denn das sieht man oft nicht in diesem speziellen Fokus des Kinderwunsches. Und in so einer Runde wird es höchstwahrscheinlich auch niemand sagen.

Ich bin aus dem Training gegangen und fühlte mich mies.
Wir hatten in diesem Zyklus keine idealen Bedingungen, im Geist habe ich auch dieses Ei bereits abgehakt. Meine Unzufriedenheit darüber hat kein äußeres Ventil, außer meine Texte hier. Das Sprechen mit anderen ist vorbei. Zu groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich noch verletzbarer werde, als ich mich bereits fühle. Oder unverhältnismäßig viel Wut hochkommt.
Meinem Mann wäre ich am liebsten ins Gesicht gesprungen, als er auf diese Episode meinte: „Man muss auch gönnen können.“
Die unangenehme Wahrheit ist, dass ich das nicht mehr kann. Nicht aufrichtig, herzlich. Kopfisch – natürlich. Seelisch – nope. Service unavailable.

#AuDHS = #ADHS + #Autismusspektrum | Nachdenken über Schnittmengen und Gegensätze

[Disa] Als Kind bekam ich von meiner Tante M. ein Taschentuch für Zwillingsgeborene. Auch sie war Zwilling, ebenso meine Mutter und einer meiner Brüder, dem unsere Tante ebenfalls so ein Taschentuch schenkte. Weil ich Tante M. und ihre ansonsten pädagogisch wertvollen Geschenke mochte – die Matrjoschka und das Dalarna-Pferdchen habe ich sogar ins Erwachsenenalter gerettet –, zweifelte ich nicht an der Botschaft auf dem Taschentuch, leichtgläubig wie ich war. Also wuchs ich, dank Taschentuch, im Glauben auf, meine Zwiegespaltenheit in allen Dingen, die ich schon als Kind sehr bewusst wahrnahm, sei astrologisch vorherbestimmt. Der Text auf dem Taschentuch war da sehr eindeutig.

Heute weiß ich es besser. Astrologie ist Quatsch und meine Buntheit hat mit meinem So-Sein zu tun. Während der ADHS-Diagnostik erwähnte meine gute Dr. ADHS, dass manche meiner Testergebnisse auf Autismus hinweisen könnten. Sie kenne sich allerdings nicht gut genug aus, um das beurteilen zu können.

Noch habe ich keine Autismusdiagnose, die Warteschlangen zur Diagnostik sind lang. Ich hoffe, dass ich in einigen Monaten mehr weiß. Inzwischen habe ich mich selbst schlau gemacht und weiß daher, dass die Kombi Autismus/ADHS so selten gar nicht ist, ich nenne sie hier kurz AuDHS.

Seit einem Jahr nehme ich ein Medikament, das mein ADHS-Hirn unterstützt. Seither fühle ich die autistischen Symptome deutlicher. Ich empfinde sie quasi als freigestellt … Vorher haben sich die beiden Wesensarten gegenseitig überlagert und sorgten so für eine ziemlich anstrengende eingeschränkte Lebensqualität. Hott und Hü. Mit und dank Medikament erkenne ich die Prozesse in mir deutlicher, kann vieles besser handhaben und die Lebensqualität ist generell deutlich gestiegen.

Auf der folgendem Grafik fasse ich meine persönlichen Symptome zusammen. In der Mitte die Schnittmenge, in den zwei äußeren Spalten meine Symptome, die entweder der einen oder der anderen Diagnose zugehörig sind.

Meine Zwiegespaltenheit, siehe oben, hat also – so erkenne ich heute – mit den gegensätzlichen Kräften in mir zu tun. Ich habe die für mich gegensätzlichsten Kräfte farbig markiert. Neurodivergenz ist zwar bunt, aber oft ganz schön anstrengend.

Ich wünsche mir, das ich diese ganze Mélange weiter entspannen kann, noch mehr Druck herausnehmen. Noch weiß ich zwar nicht wie, aber ich übe weiter …

+++

Bildbeschreibung/Alternativtext unter der Grafik:
(Draufklick für groß)

Textgrafik, Text unter der Grafik lesbar

Die Grafik zeigt zwei Kreise. Der linke Kreis ist mit Autismusspektrum übertitelt, der rechte mit ADHS. Die Kreise haben eine Schnittmenge.

Der linke Kreis hat folgenden Inhalt:

  • Hoher Ruhebedarf,
    generell tiefes Stresslevel
  • Gern im Rückzug (Schneckenhaus/Kokon) | Regeneration am besten allein oder nur mit Partner | Natur hilft bei der Regeneration
  • Bemerken/Wahrnehmen kleiner Details, die andere nicht sehen
  • Hoher Bedarf an Struktur, Regeln, Routinen & Planung, Vorhersehbarkeit, Wiederholung, | Veränderung von Abläufen ist sehr stressig | Vorbereitung und klare Abmachungen sind wichtig
  • Berührung/Anfassen mancher Dinge wird als sehr unangenehm empfunden | (unangekündigtes) Berührtwerden ist unangenehm
  • Augenkontakt ist kein natürliches Bedürfnis
  • Oftmaliges Nichtverstehen von Ironie u/o sozialen Codes

Der rechte Kreis hat folgenden Inhalt:

  • (Innere) Hyperaktivität & Impulsivität
  • Grenzenlosigkeit/überbordende Grenzen
  • Hoher Stimulations- & Inspirationsbedarf
  • Exekutive Dysfunktion & Chaostendenz bei Umsetzung von Plänen & im Haushalt/Ordnung
  • Unterstimulation erzeugt Unkonzentriertheit und fördert Ablenkbarkeit und Fehlerbereitschaft
  • Zeitblindheit (auf einmal ist viel Zeit vergangen)
  • Motivierbarkeit bei uninteressanten Aufgaben sehr schwierig
  • Gleichzeitige Wahrnehmung von Ereignissen, was Priorisieren schwierig macht

Die Schnittmenge hat folgenden Inhalt:

  • Hyperfokus
  • Reizempfindlichkeit (Licht, Geräusche/Lärm, Geruch/Gestank, Berührungen)
  • Reduzierte Energiereserven
  • (Synästhesie & MirrorTouch)
  • Dauerhafte anstrengende Anpassungsleistung (Masking)
  • Ablehnungsangst/-empfindlichkeit
  • Soziale Ängste/Beziehungsfindung/-pflege
  • Stimming

Reisevorbereitungen mit #ADHS – Fazit

Nun ist die lange erwartete Reise schon längst Geschichte. Eine wunderschöne Reise war es, auch wenn nicht alles nach Plan gelaufen ist. Und ich habe – typisch ADHS – noch gar nicht berichtet wie der ganze Bürokratie-Kram ausgegangen ist. Dabei ist das schnell erzählt.

Kurzfassung: Niemand hat sich dafür interessiert.

Ich habe die Bescheinigung zusammen mit den Medikamenten im Handgepäck aufs Schiff gebracht ohne bei der Sicherheitskontrolle irgendetwas vorzeigen zu müssen. Unterwegs sind die Medis eh an Bord geblieben (und es gab nirgendwo Kontrollen wenn ich von Bord gegangen bin) und bei der Ausschiffung bin ich auch nicht vom Zoll kontrolliert worden. Hier hatte ich ehrlich gesagt die grösste Wahrscheinlichkeit für eine Kontrolle gesehen da der Zoll immer stichprobenartig Passagiere kontrolliert.

Würde ich bei einer ähnlichen Reise jetzt auf all den Papierkram verzichten? Nein, denn das ist mir dann doch zu riskant. Ohne entsprechenden Nachweis mit BTM erwischt zu werden kann richtig doof werden, und das möchte ich wirklich nicht erleben.

Für einen Wochenend-Trip mit dem Auto in die Niederlande habe ich trotzdem auf die offizielle beglaubigte Bescheinigung verzichtet. Ich habe ja auch noch meinen ADHS-Ausweis in dem bestätigt wird das ich auf diese Medikamente angewiesen bin. Ob das bei einer Kontrolle im Ausland wirklich gereicht hätte weiß ich nicht und ich will dieses Vorgehen auch niemandem empfehlen. Aber für 2 Nächte konnte ich mich nicht dazu bewegen den ganzen Aufwand (zeitlich und finanziell) durchzuziehen.

Mein #ADHS-Coaching Teil 5

Teil 5: Wie wir Konflikte und Ärgernisse als Chancen erkennen können  | Emotions- und Impulsregulation

[Disa] Nach der Sommerpause und zwei Sitzungen, in denen es mehr oder weniger um das Vertiefen des früher Besprochenen und um meinen Umzug gegangen war, komme ich dieses Mal erstmalig ohne wirklich brennendes Anliegen in die Sitzung. Ich blicke dankbar zurück auf all das, was sich bereits zum Besseren verändert hat, seit ich die Medikamente, die mir Dr. ADHS verschrieben hat, nehme und im ADHS-Coaching bin.

Ich habe im letzten Jahr viel Lebensqualität dazugewonnen, die Unterstützung durch das Medikament hat viel bewirkt. Ich erinnere uns daran, wie fremd sich am Anfang dieser Umstand, dass ich nicht mehr die ganzen vielen Reize wahrnehme, nicht mehr alles sehe, höre und mitbekomme, weil ich jetzt filtern kann, angefühlt hat. Dass ich auf einmal Grenzen habe, nicht mehr energiemäßig immer auslaufe und mitfühlend ständig über meine Grenzen fließe. Wie ich deswegen aber auch vergesslicher geworden bin, mir neue Merkstrategien aneignen musste … alles in allem, sage ich, fühle ich mich heute viel stabiler, die Außenhaut ist dichter geworden, ich habe keine Lecks mehr – zumindest viel weniger.

Welches denn all die Themen seien, die Dr. ADHS normalerweise in ihren Coachings bearbeite, will ich deshalb wissen.

Dr. ADHS zählt die Überthemen auf, die für ADHS-Betroffene oft Baustellen sind:

  • Motivation/Selbstmotivation
  • Impuls- und Emotionsregulation
  • Planung/Organisation
  • Zeitgestaltung
  • Kommunikation: die Dritten und das Umfeld

Es sei allerdings sinnvoller, die Themen nicht theoretisch abzuhandeln, sondern sie in den persönlichen Kontext zu stellen.

Bei den ersten beiden Themen habe ich aufgemerkt und mich sogleich an einen kürzlich erlebten Ausraster erinnert. Ich hatte wieder einmal mein Mittel weggelassen. Das tue ich hin und wieder, um den Unterschied bewusst zu spüren. Manchmal auch nur, wenn ich sehr müde bin und tagsüber auf ein längeres Nickerchen hoffe, was mit MPH eben nicht geht (wegen dessen Wachhaltefunktion). Ich nehme dann in Kauf, dass ich womöglich dünnhäutiger sein werde.

Wegen einer Bagatelle war es zu einem unschönen Wortwechsel mit meinem Partner gekommen, ich hatte ihn angeblafft. Kurz hatte es sich gut angefühlt, wie ein Ventil, das endlich Luft ablassen kann, dann aber vor allem beschämend. Früher war ich immer irgendwie (blöderweise) stolz auf meine Selbstkontrolle und Impulsunterdrückung gewesen, ohne mir bewusst zu sein, wie viel Energie ich damit fürs Maskieren des bedürftigen, sich zeigenwollenden Gefühls verbraten habe.

Heute sehe ich das anders. Ich will mich nicht ständig zusammenreißen müssen. Mein Partner ist zum Glück sehr geduldig und wir haben uns später ausgesprochen. Das Gespräch mündete bei mir in der Erkenntnis, dass ich in der erlebten Situation mehr Überblick gebraucht hätte.

Ich erzähle Dr. ADHS von dieser einen Situation, die exemplarisch für andere Momente steht, in denen ich zuweilen ausraste. Meistens sind es physische Dinge, die mich an meine Grenzen bringen. Etwas, das nicht funktioniert; etwas, das ich nicht kann, das mir nicht auf Anhieb gelingt; etwas, das zu lange dauert; etwas, das sich unagenehm anfühlt. Entweder dissoziiere ich dann kurz (früher mehr als heute) und/oder ich verfalle in eine Art (Warte-)Paralyse. Oder ich raste eben verbal kurz aus und schnauze jemanden an.

Ich fühle etwas und reagiere meistens unmittelbar. Das Fühlen an sich kann ich nicht steuern, doch es fühlt sich je nach Tagesform unterschiedlich an. Mal so, mal so. Mal bin ich gelassener, mal ist die Haut dünn. Steuern, oder besser übersteuern – also mit dem Verstand etwas ändern –, kann ich nicht das Fühlen, aber meine Reaktion (und manchmal auch Tagesform und Umfeld), weil ich mich nämlich ja nicht so (mies), sondern besser fühlen will. Gefühle sind immer schneller als Gedanken, das ist evolutionsbedingt, erklärt Dr. ADHS.

Ich habe in meinem Leben viele Erfahrungen gesammelt, habe Erfahrungswerte, weiß im Grunde, was hilft. Möglicherweise kann ich Situationen wie diese punktuell entschärfen, in dem ich vor dem sich anbahnenden Ausrasten kurz aus dem Raum gehe. Oder auf 10 zähle … etc. Generell hilft es nicht, die Gefühle zu ignorieren, sondern sich nach Lösungen umzuschauen.

Im besagten Beispiel ging es um etwas, das mich physisch störte. Doch »das stört mich!« zu sagen – wie nett auch immer – ist natürlich keine Lösung, sie erzeugt nur Schuldgefühle und bringt nicht weiter. Ich will und kann meinen Partner nicht ändern, er ist genau so genau richtig. Ich auch. Take it or leave it, heißt es schließlich, nicht Take it or change it.

Wichtig aber ist, dass ich zu meinen Bedürfnissen stehe und stehen darf. Wie sähe es also aus, wenn wir uns nicht nur nach einem Kompromiss, sondern sogar nach einer Win-Win-Lösung umsähen? Was brauche ich? Was wäre auch gut für meinen Partner?

Dr. ADHS schlägt mir etwas ganz Konkretes vor, etwas materiell Machbares (auf das ich theoretisch auch selbst hätte kommen können) und ich bin extrem angetan von ihrem Vorschlag, zumal er relativ leicht umsetzbar ist. Wäre doch jedes Problem so leicht lösbar. Es ist ein Beispiel, das mir Mut macht. Mut zur Akzeptanz von Bedürfnissen, von Grenzen, von Alternativen. Auch das bedeutet verantwortungsbewusst zu leben.

Ausgangslage ist oft ein Ärgernis, es ist mit einem körperlichen Schmerz vergleichbar, der uns auf eine mögliche Schwachstelle des Körpers aufmerksam macht, um die wir uns kümmern sollten. Das Ärgernis lässt sich nicht immer einfach wegmachen, es verlangt unsere Aufmerksamkeit, unsere Hingabe. Das ist ein wichtiger Moment, der uns zur Suche von Lösungen bringt und zur Verbesserung der Umstände. Im Idealfall sogar zu mehr Lebensqualität.

Abschließend sprechen wir über das jeweilige Lebensglück. Ich bin nicht – durch Selbstverzicht zum Beispiel – für das Lebensglück, das Wohlergehen und die Bedürfnisse meines Partners hauptverantwortlich, er nicht für meins und meine, dennoch wollen und können wir uns gegenseitig Gutes tun. Die letzte Verantwortung haben wir jedoch immer nur für uns selbst.


Teil 1
Teil 2
Teil 3
Teil 4

Alle Teile

Fortsetzung folgt

Was bei #ADHS helfen kann | Medikamente nehmen Teil 4

[Disa] Wie ich mich jedes Mal nerve, wenn ihm TV Mist über ADHS verbreitet wird! In einer Serie, die ich gestern geguckt habe, wurde eine ADHS-Betroffene wegen ihrer Ritalin-Sucht behandelt. Es wird gezeigt, wie sie am Abend heimlich und verstohlen eine Tablette nimmt. Sie müsse diese Sucht unbedingt aufgeben!, sagte die Ärztin später zu ihr. Sie müsse lernen, ohne diese Droge zu leben.

What a f*ck! Sorry, aber bei so viel Mist werde ich leicht ungehalten.

Dass Methylphenidate (MPH) wie Ritalin und Co. von Nicht-ADHS-Betroffenen als Droge missbraucht werden, ja, oke, verstehe ich. Aber dass ADHS-Betroffene freiwillig überdosieren? Ne, glaub ich jetzt eher nicht. Bei uns ist die Wirkung ja genau umgekehrt. Durch das Endlich-Genug-Dopamin werden wir konzentriert und fokussiert, endlich weniger hibbelig, während ein Zuviel – wie ich später noch erzählen werde – ähnlich unangenehm ist wie ein Zuwenig.

Leider wissen viele Drehbuchschreiber*innen offensichtlich nicht, dass MPH keinen Pegel erzeugt, wie es die meisten(?) Psychopharmaka vermutlich tun. MPH dagegen ist in maximal zehn Stunden wieder raus aus dem Körper. Ich habe im Laufe der Zeit bei mir beobachtet, wie lange das MPH bei mir wirkt und habe eine etwa 6-8 stündige Wirkzeit erkannt. Auch geht es mir defintiv besser, wenn ich das Mittel relativ bald nach dem Aufstehen nehme.

Im folgenden Text fasse ich meine Erkenntnisse aus meinen letzten beiden Sitzungen, in denen es um das Eindosieren und Finden meiner persönlichen Dosis ging, zusammen. Ich möchte mit dem Teilen meiner Erfahrungen so gern die ganzen Vorurteile über ADHS, die im Umlauf sind, aufheben.

Natürlich ist so ein Mittel – wie letztlich jedes Medikament – ein Eingriff in mein System. Manche Menschen reagieren mit starken Nebenwirkungen. Bei mir traten als Nebenwirkungen wiederholtes Verspannungskopfweh, Mundtrockenheit und Pickel auf. Alle drei können von Methylphenidat (MPH) ausgelöst werden.

Für das Kopfweh empfiehlt mir Dr. ADHS, hochwertiges und hochdosiertes Magnesium einzunehmen. (Was, wie ich im Rückblick nach zehn Monaten sagen kann, bestens funktioniert. Das Kopfweh hat sich wieder normalisiert, heißt, ich habe es ähnlich oft oder selten wie vor der Medikation.) Fakt ist, dass MPH dem Körper mehr Spannung beschert. Dagegen hilft Magnesium meistens gut. Doch wer langfristig hochdosiertes Magnesium einnimmt, sollte unbedingt auch auf genügend Calcium achten, da sonst die Knochensubstanz angegriffen werden kann. Der Abend sei für Magnesium die beste Einnahmezeit, weil es ja zur Entspannung und Entkrampfung beitrage, sagt meine Ärztin. Was ich zwar nachvollziehen kann, aber die Verspannungen, die das ADHS-Mittel macht, spüre ich ja vor allem tagsüber. Ich werde es wohl so halten, dass ich am Morgen und am Abend etwas nehme.

Einmal jährlich soll gecheckt werden, wie mein Körper mit dem MPH klarkommt, Blutbild, Blutdruck etc.. Gut zu wissen!

Ich habe Glück, dass ich mein Mittel so gut vertrage. Die Pickel haben sich – so kann ich glücklicherweise im Rückblick sagen – wieder verkrümmelt, nachdem ich die richtige Dosis gefunden hatte. Mit der Mundtrockenheit habe ich zu leben gelernt, ich trinke öfter.

Kurz gesagt: Die positiven Effekte überwiegen bei mir definitiv. Ich habe deutlich mehr Lebensqualität und weniger Leidensdruck. Meine Wahrnehmung der Unterschiede – Leben mit und ohne das Medikament – ist immer facettenreicher geworden. Ich habe mehr Bewusstsein für mich und meine Grenzen. War ich vorher grenzenlos, spüre ich mich inzwischen immer besser. Auch bin ich nicht mehr die, die immer alles überblickt, mitbekommt, wachsen hört, sieht und wahrnimmt. Jetzt bin ich auch mal die, die nicht mehr weiß, wo die Schlüssel liegen. Ich kann nicht mehr alles vorausahnen und überblicken, sondern muss mir jetzt Strategien überlegen, damit ich die Dinge nicht vergesse.

Ich sage meiner Ärztin, dass ich zwar zufrieden bin, nur gern weniger hibbelig wäre. Viel ist besser geworden, aber die Hibbeligkeit mag ich nicht. Müsste die denn nicht endlich weniger werden? Statt früher 15 Kanäle, die mich gleichzeitig bespielen, habe ich inzwischen nur noch etwa 5-10, mir wäre lieber, es wären noch weniger, sage ich.

Wir überlegen, dass ich testweise die Dosis leicht erhöhen könnte, was ich schließlich die nächsten Tage tue, aber bald merke, dass ich die positiven Eigenschaften zwar immer noch wahrnehme, mich jetzt aber irgendwie abgehoben, abgeschnitten, unempathisch, fast zu sehr nur auf mich fokussiert fühle. Und – vor allem – jetzt sogar noch hibbeliger geworden bin.

Also mache ich genau das Gegenteil: ich verringere die Dosis. Die Kapseln lassen sich ja sehr gut öffnen. Ich experimentiere, bis ich nach und nach die richtige Dosis, die Hälfte der Anfangsdosis, finde. Da habe ich nun alle Benefits und endlich ist die Hibbeligkeit weniger geworden. Und die Pickel sind auch Geschichte.

Diese Phase mit der Überdosierung war schlimm – und doch erhellend und somit notwendig, um die Wirkung von MPH zu begreifen. Ich habe mich mir fremd gefühlt und für mich erkannt, dass sowohl zu wenig als auch zu viel Dopamin schwierig sind. Die richtige Dosis findet sich auf einem sehr schmalen Weg. Auch wenn es bei mir schließlich eine relativ kleine Dosis ist, macht sie doch, so im Rückblick, einen gewaltigen Unterschied in der Wahrnehmung meiner Innen- und Außenwelt.

Mit meiner eher kleinen Dosis bin ich übrigens nicht allein, die Wohlfühldosis ist tatsächlich sehr individuell. Und je älter eine*r ist, desto weniger Dopamin-Transporter hat sie*er, also braucht eine*r je älter je weniger Dopamin, um das gewünschte Level zu erreichen.

Es ist ein tolles Gefühl: endlich bestimme ich. Ich kann wählen. Ich muss nicht, aber ich kann. Ich sammle jetzt Erfahrungen und ich darf auch mal danebenhauen. Das darf sein. Ich werde im Laufe der Zeit fühlbar selbstsicherer, weil ich nun selbst bestimmen kann.

Das alles ist nicht nur ein kognitiver Prozess, ein Verstehen im Kopf, es geht vor allem auch darum, das alles zu fühlen. Die langfristigen Verhaltensveränderungen, die ich herbeiführen will, sollen besonders auch auf der Fühlebene passieren.

Eine Beobachtung, die ich erst allmählich mache:
Meine Tagesmüdigkeit ist fast ganz verschwunden. Das hat zwei Gründe: 1.) Die Substanz ist nicht nur ein Dopaminbooster, sondern eben auch ein etwa zehn Stunden wirksamer Wachmacher, was jedoch nicht bedeutet, dass ich zehn Stunden lang einen hohen Dopaminspiegel habe (dieser hält sich, je nach persönlichem Stoffwechsel und gewähltem Medikament, 4-8 Stunden).
2.) Ich bin nun abends, da ohne Nickerchen tagsüber, viel müder, so dass ich, wenn Wachmacher und Dopaminboost wieder aus dem Körper raus sind, entsprechend (meist mit Melatonin) richtig gut schlafen kann. Nicht immer, aber immer öfter.

Inzwischen habe ich deutlich mehr Selbstvertrauen in mich und meine Instinkte, Gefühle und Wahrnehmungen gefunden. Das freut mich sehr.

Ich empfinde mich …

  • innerlich ruhiger
  • weniger (schnell) müde
  • ausdauernder
  • weniger schnell genervt und gereizt
  • positiver/optimischer

Abschließend zeigt mir Dr. ADHS auf einer ihrer Textgrafiken, wo genau was passiert:

  • Das limbische (Belohnungs-)System reagiert auf genug Dopamin mit »innerlich ruhiger«
  • Der Thalamus kann wegen genug Dopamin Reize besser abschirmen und lässt mich mich »weniger (schnell) müde« fühlen.
  • Im Präfrontalen Cortex geschieht durch genug Dopamin, dass ich entscheiden kann und will, »positiver« zu sein.

Während ich mit zu wenig Dopamin vieles automatisch mache, geht es neu darum, die Dinge bewusst zu tun. Das erklärt auch meine neue Vergesslichkeit. Vorher hat sich mein Hirn herumliegende Dinge automatisch gespeichert, weil ich keine Filter hatte und alles unpriorisiert wahrnahm, doch darauf kann ich nun irgendwie nicht mehr zugreifen. Gefühlt ist es manchmal wie eine noch fast leere Festplatte ohne Dateirn oder ein anderes neues Betriebssystem, das ich erst kennenlernen muss …

»Das Hirn ist bis ins hohe Alter beweglich«, sagt Dr. ADHS sinngemäß, »und hocheffizient. Wenn ich davon überzeugt bin, dass ich etwas nicht mehr kann, werden jene Areale »geschlossen« und das Hirn, die Hirntätigkeit, wird dort eingestellt. Aktiviere ich das Hirn aber ständig, indem ich Neues lerne, bleiben alle Bereiche im Hirn aktiv. Use it oder lose it. So arbeitet das Hirn«.

»Sie tun schon viel, Sie haben bereits viel getan«, sagt sie, als ich von meiner Erfahrung mit meiner mir in den Phasen der Überdosierung beinahe abhanden gekommenen Empathie spreche. »Die Empathiefähigkeit gehört zu Ihnen, ist Teil Ihrer Persönlichkeit. Sie ist nicht nur wegen mehr oder weniger Dopamin aktiv, Sie können sie steuern. Neu werden Sie nicht mehr überflutet und daran müssen Sie sich gewöhnen. Jetzt ist das noch neu, aber irgendwann wird das Ihr neues Normal sein.«

Ich habe es jetzt endlich selbst in der Hand und bin nicht mehr den Fühlfluten ausgeliefert.


Teil 1
Teil 2
Teil 3

Ende

Leben machen – Teil 8, in dem es um plötzliche Veränderungen geht

[Janne]
Eisprungzeit.
Für mich dieses Mal etwas aufreibend, denn mein Eisprung hat sich verschoben.
Ich kann dieser Verschiebung wohlwollend begegnen, obwohl ich üblicherweise nicht sonderlich geschmeidig auf Veränderungen reagieren kann.

Man sagt uns Autist*innen ja oft nach, wir seien nicht flexibel und hätten Probleme mit plötzlichen Veränderungen. Ich für meinen Teil habe weniger mit den Veränderungen als ihren Konsequenzen ein Problem.
Denn meine gesamte Leistungsfähigkeit, was das alltägliche Funktionieren und Kompensieren von äußeren Einflüssen angeht, hängt davon ab, dass ich weiß, was los ist. Und ich kann nur wissen, was los ist, wenn ich von vornherein weiß, was los sein wird oder sein könnte.

An kaum einer anderen Stelle kann ich nicht-autistischen Menschen so deutlich machen, dass Autismus einer neurologischen Mechanik folgt und tatsächlich nichts mit meiner Persönlichkeit zu tun hat. Denn auch viele nicht-autistische Menschen werden nicht gern überrascht und werden sehr erschöpft von unsteter Lebensumgebung und unsicheren Bedingungen der Vorgänge um sie herum.
Ich hingegen werde letztlich hilflos, weil ich im Fall einer Plan- oder Ablaufänderung weniger und manchmal auch gar keinen Zugriff auf die Hirnfunktionen habe, die meine Reizaufnahme in irgendeiner Form einordnen, filtern, verarbeiten, integrieren. Ein Mal aus der Orientierung bin ich auf Hilfe angewiesen, die Situation zu verstehen und Prompts zu bekommen, was ich als Nächstes tun muss. Wenn es denn noch so milde ist, dass ich Hilfe von außen überhaupt als solche begreifen kann.

Diese Mechanik ist der empfindlichste Teil meines Autismus und der Hauptgrund dafür, dass ich im analogen Leben niemandem von meinem Kinderwunsch erzähle. Die meisten nicht-autistischen Menschen halten Babys und Kinder für verkörpertes Chaos und mich für nicht in der Lage, darauf angemessen und funktional reagieren zu können.
Ihr Konzept von Plötzlichkeit unterscheidet sich von meinem.
Ich habe noch nie ein Kind erlebt, das sich unvorhersehbar plötzlich verändert. Aber schon viele Menschen, die aus unbenannten und für mich unsichtbaren Beweggründen erst ins Kino und dann lieber doch in die Disco wollten – nachdem man dann doch ganz spontan mal noch durch ein paar Kneipen gezogen ist.
Je enger mein Bezug zum Kontext ist, desto leichter fällt es mir, Veränderungen vorherzusehen und in meine Erwartungen an den Rahmen, in dem sie sich ereignen könnten, einzuweben.

Dass sich der menschliche Eisprung um einige Tage verzögert, ist eine solche Veränderung. Sie hat zwar Konsequenzen für meinen Alltag, aber ich weiß schon, dass das absolut im normalen Rahmen ist und was ich jeweils tun muss.
Derzeit muss ich mal abspannen. Es war einigermaßen aufregend in den letzten beiden Wochen – wie soll denn bei so viel Gerumpel und Getöse auch vernünftig ein Ei aufgefangen, geschweige denn befruchtet und ein Embryo gebaut werden?

Leben machen – Teil 7, in dem Janne sich als Ovuhasen outet

[Janne]
7 Uhr 10.
Meine Hüfte drückt sich schmerzhaft auf den feuchten Boden, ein Vogel piept über der Kuppel meines Zelts. Ich bin auf einer Veranstaltung. Habe frei, bin in meiner Herzensbubble unterwegs und mein erster Gedanke ist der, dass ich das Testen nicht vergessen darf. Die platte Luftmatratze, der nasse Zeltboden, die knapp 10 Grad und die Unvorhersehbarkeit des Veranstaltungsgeschehens, das kommt alles danach, denn ich habe nur noch 20 Minuten.

Ich bin kein Temperaturmäuschen – ich bin ein Ovuhase. Jeden Tag mache ich um die gleiche Zeit einen Ovulationstest, damit mein Monitor eine konsistente Datenbasis hat und ich weniger mentale Belastung. Die Gedankenlast um meine Fruchtbarkeit ist hoch. Ich denke jeden Tag an meine Ernährung, meine Gesundheit, an Umweltgifte und die Notwendigkeit, diese Gedanken als etwas Persönliches zu behandeln. Sie also nicht wie andere Themen zu teilen oder zu besprechen. Diese Kategorie in meinem kommunikativen Handeln zu haben und in meinem sozialen Alltag anwenden zu können, ist Kernelement meines Maskings und damit etwas, das meinen Autismus weniger offensichtlich macht, weil es mich nicht-autistischen Menschen ähnlicher erscheinen lässt. Denn die sprechen auch nicht darüber. Wenn auch nicht aus den gleichen Gründen und mit den gleichen Zielen wie ich.

Mir ist es nicht peinlich, überwiegend an meinen Kinderwunsch zu denken und dabei immer wieder die gleichen Sätze, Ideen und Fragen im Kopf zu haben. Aber ich empfinde Scham, wenn ich merke, dass der Anspruch meiner Umwelt an mich ist, sie nicht gleichermaßen repetitiv zu teilen.
Manchmal habe ich den Eindruck, dass man sich mehr Varianz von mir dabei wünscht. So als ob sie mich bitten, ihnen meine Gedanken doch abwechslungsreicher mitzuteilen. Obwohl sie es nicht sind. Und auch nicht sein können, denn es sind nun einmal immer die gleichen Dinge. Ovulationstest – Körper – XYZ meiden und kompensieren – Sex – Zeiträume und deren Gestaltung – Schwangerschaftstests.

Seit ich morgens die Ovulationstests mache, habe ich morgens einige Stunden Pause im Kopf. Das Ergebnis gibt mir Klarheit, ich muss mich nicht sorgen, ob ich meinen Eisprung verpasst habe und an welchem Zyklustag ich gerade bin. Ich weiß in etwa, wie dick meine Schleimhaut jetzt ist und warum ich heute schon Lust auf Sex habe und so viel Spaß an Sport. Ich weiß, welche Ernährung mir jetzt genau guttut und ob ich mir Gedanken um das Einplanen von Sex machen muss oder nicht.
Ich liebs.
Dahin zu kommen war schwierig und sicherlich gibt es Schöneres als 5 Minuten zusätzlich auf dem Zeltplatzklo rumzustehen, weil da auch die einzigen Mülleimer sind – aber was macht man nicht alles für ein, zwei, drei Gedankenkilos weniger. Und ein Baby. Dann vielleicht irgendwann.

Hoffentlich.

Vorurteile über Autismus und die Autismusspektrum-Diagnose

[Disa] Vor allem Frauen und als Frauen gelesene Personen wird ihre Autismusspektrum-Diagnose oft nicht geglaubt. Schon auf meine ADHS-Diagnose wurde oft sehr ungläubig reagiert. Wie es mir wohl ergehen wird, wenn ich demnächst die vermutete Autismusspektrum-Diagnose bekommen haben werde?

Im Internet habe ich folgende Grafik zum Thema Vorurteile gefunden:

Textgrafik. In der Mitte steht eine langhaarige Frau, die ein weißes Shirt und hellbraune Shorts trägt. Um sie herum ist der Text auf Englisch, der in diesem Artikel auf deutsch übersetzt worden ist. Das Bild ist in hellroten Tönen gehalten.
Textgrafik. In der Mitte steht eine langhaarige Frau, die ein weißes Shirt und hellbraune Shorts trägt. Um sie herum ist der Text auf Englisch, der in diesem Artikel auf deutsch übersetzt worden ist. Das Bild ist in hellroten Tönen gehalten.

Wie man sich diskriminierend und entwertend verhält?
Erwachsene-Autismusspektrum-Edition einer kleinen Auswahl an „sehr hilfreichen“ Chats:

Sie können nicht Autist*in sein, weil …
… Sie Augenkontakt herstellen können.
… Sie zu einfühlsam sind.
… Sie weiblich sind.
… Sie nicht autistisch aussehen.
… Sie Freund*innen, eine*n Partner*in oder
Kinder haben.
… Sie einen Beruf haben.
… Sie zu normal sind.
… Sie erwachsen sind.
… Sie die Schule, Ausbildung oder Universität abgeschlossen haben.
… Sie zu schlau sind.
… Sie sich nicht wie mein 5 Jahre alter autistischer Sohn/Neffe verhalten.

+++

Soweit die Grafik. Wirklich hilfreich ist es dagegen immer, das Gegenüber ernstzunehmen, Respekt, Akzeptanz zu leben.

Niemand weiß von außen, was und wie ein Gegenüber die Welt wirklich wahrnimmt.