Leben machen – Teil 8, in dem es um plötzliche Veränderungen geht

[Janne]
Eisprungzeit.
Für mich dieses Mal etwas aufreibend, denn mein Eisprung hat sich verschoben.
Ich kann dieser Verschiebung wohlwollend begegnen, obwohl ich üblicherweise nicht sonderlich geschmeidig auf Veränderungen reagieren kann.

Man sagt uns Autist*innen ja oft nach, wir seien nicht flexibel und hätten Probleme mit plötzlichen Veränderungen. Ich für meinen Teil habe weniger mit den Veränderungen als ihren Konsequenzen ein Problem.
Denn meine gesamte Leistungsfähigkeit, was das alltägliche Funktionieren und Kompensieren von äußeren Einflüssen angeht, hängt davon ab, dass ich weiß, was los ist. Und ich kann nur wissen, was los ist, wenn ich von vornherein weiß, was los sein wird oder sein könnte.

An kaum einer anderen Stelle kann ich nicht-autistischen Menschen so deutlich machen, dass Autismus einer neurologischen Mechanik folgt und tatsächlich nichts mit meiner Persönlichkeit zu tun hat. Denn auch viele nicht-autistische Menschen werden nicht gern überrascht und werden sehr erschöpft von unsteter Lebensumgebung und unsicheren Bedingungen der Vorgänge um sie herum.
Ich hingegen werde letztlich hilflos, weil ich im Fall einer Plan- oder Ablaufänderung weniger und manchmal auch gar keinen Zugriff auf die Hirnfunktionen habe, die meine Reizaufnahme in irgendeiner Form einordnen, filtern, verarbeiten, integrieren. Ein Mal aus der Orientierung bin ich auf Hilfe angewiesen, die Situation zu verstehen und Prompts zu bekommen, was ich als Nächstes tun muss. Wenn es denn noch so milde ist, dass ich Hilfe von außen überhaupt als solche begreifen kann.

Diese Mechanik ist der empfindlichste Teil meines Autismus und der Hauptgrund dafür, dass ich im analogen Leben niemandem von meinem Kinderwunsch erzähle. Die meisten nicht-autistischen Menschen halten Babys und Kinder für verkörpertes Chaos und mich für nicht in der Lage, darauf angemessen und funktional reagieren zu können.
Ihr Konzept von Plötzlichkeit unterscheidet sich von meinem.
Ich habe noch nie ein Kind erlebt, das sich unvorhersehbar plötzlich verändert. Aber schon viele Menschen, die aus unbenannten und für mich unsichtbaren Beweggründen erst ins Kino und dann lieber doch in die Disco wollten – nachdem man dann doch ganz spontan mal noch durch ein paar Kneipen gezogen ist.
Je enger mein Bezug zum Kontext ist, desto leichter fällt es mir, Veränderungen vorherzusehen und in meine Erwartungen an den Rahmen, in dem sie sich ereignen könnten, einzuweben.

Dass sich der menschliche Eisprung um einige Tage verzögert, ist eine solche Veränderung. Sie hat zwar Konsequenzen für meinen Alltag, aber ich weiß schon, dass das absolut im normalen Rahmen ist und was ich jeweils tun muss.
Derzeit muss ich mal abspannen. Es war einigermaßen aufregend in den letzten beiden Wochen – wie soll denn bei so viel Gerumpel und Getöse auch vernünftig ein Ei aufgefangen, geschweige denn befruchtet und ein Embryo gebaut werden?

Autor: Janne

Ende 30, weiß, autistisch, kinderwünschig

Ein Gedanke zu „Leben machen – Teil 8, in dem es um plötzliche Veränderungen geht“

  1. »Denn meine gesamte Leistungsfähigkeit, was das alltägliche Funktionieren und Kompensieren von äußeren Einflüssen angeht, hängt davon ab, dass ich weiß, was los ist. Und ich kann nur wissen, was los ist, wenn ich von vornherein weiß, was los sein wird oder sein könnte.«

    Danke für diese vielschichtigen Erkenntnisse. Und das Zitat finde ich eine sowas von auf den Punkt gebrachte Zusammenfassung von Autismusspektrum.

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